Die Seherin der Kelten
Körper, und nicht nur wegen ihrer Schlagfertigkeit und ihres trockenen Humors. Gemeinsam nahmen sich diese beiden nun also Cunomars Ehrengarde an und machten sich an die Aufgabe, aus den jungen Kriegerinnen und Kriegern den Kern einer Armee zu formen.
Zwei Monate nach der Wintersonnenwende und der längsten und dunkelsten Nacht des Jahres machte Breaca eine Pause von ihrer Arbeit in der Schmiede und rief die Ehrengarde zu einer Ratssitzung zusammen. Neunundvierzig junge Kriegerinnen und Krieger versammelten sich in dem Großen Rundhaus, in dem sie vor nicht allzu langer Zeit noch ihre Speerprüfungen abgelegt hatten, und ihre Wangen waren gerötet vor Erregung und Vorfreude, denn sie alle warteten schon voller Ungeduld darauf, sich endlich im Kampf beweisen zu können. Sie waren jedoch keineswegs enttäuscht, als sie stattdessen jeder der Reihe nach einen Armreif überreicht bekamen, der absolut passgenau angefertigt war und auf der einen Seite mit dem eingeprägten Bild der Bärin geschmückt, während die andere Seite der Schlangenspeer zierte, der das Zeichen der Bodicea war. Ausgestattet mit diesem Armreif, der als ihr Bürgschaftszeichen diente, schickte Breaca jeden von ihnen wieder zurück zu dem Dorf, dem Gehöft oder der Siedlung, die einst ihr Zuhause gewesen waren, und von dort aus weiter zu den benachbarten Orten.
Die Botschaft, die jeder Einzelne von ihnen überbringen sollte, war stets die gleiche: »Breaca nic Graine, Erstgeborene der königlichen Linie, ruft die Kriegerinnen und Krieger des Eceni-Volkes dazu auf, sich bis zum ersten Neumond nach der Frühjahrstagundnachtgleiche auf dem Gelände des Pferdemarktes einzufinden. Die Kriegerinnen und Krieger der Bärin werden diejenigen, die den Weg nicht kennen oder die im Winter nur ungern lange Reisen auf sich nehmen, zum Versammlungsort geleiten. Der Schnee ist euer bester Schutz. Macht euch frühzeitig auf den Weg, reist in kleinen Gruppen und betet darum, dass der Winter noch lange anhält und dass die Legionen nicht so bald schon wieder aus ihren Festungen ausrücken.«
Auf diese Weise wurde das erste Kriegsheer der Eceni ins Leben gerufen, das sich seit der Invasion der Römer je wieder zum Aufmarsch versammelte.
XXIX
In den Bergen des Westens, in unmittelbarer Nähe der Träumerinsel Mona, begannen die Kämpfe bereits vor dem Ende des Winters.
Der Schnee lag noch immer kniehoch; in den Tälern war die Schneedecke dichter, auf den Rücken der Berge, wo der Wind sie verwehte, entsprechend dünner. Die Gipfel trugen dicke Eiskappen und waren somit unerreichbar für Mensch und Tier. Nichts von alledem jedoch hielt die Kavallerie der römischen Hilfstruppen davon ab, immer breiter angelegte Überfälle auf die Bergregionen westlich ihrer Festungsbasis zu unternehmen; auch hinderte es die Krieger von Mona nicht daran, die römischen Soldaten anzugreifen, wann immer und wo immer dies möglich war.
Eingehüllt in einen dicken, zum besseren Schutz vor der Kälte mit Schafsfett imprägnierten Umhang lag Valerius bäuchlings auf festem Eis unter dem fiktiven Schutz eines kahlen, vom Wind gebeutelten Weißdornbusches und spähte in das vor ihm liegende Tal, wo am Abend zuvor ein gallischer Kavallerieflügel sein Feldlager aufgeschlagen hatte. Kalt und wolkenlos dämmerte der Morgen herauf, so dass das Licht zunächst silbrig wirkte, dann aber einen Stich ins Blaue und Goldene bekam, als die Sonne den Horizont versengte. Nebel stieg aus dem Tal empor und lichtete sich, und ganz allmählich entpuppte sich das, was zuvor ein wogendes Meer von Grau gewesen war, als in perfekter Ordnung ausgerichtete Reihen von Zelten, mit jeweils zwei größeren Zelten für die Offiziere an ihrem einen Ende.
Auf der gegenüberliegenden Seite dieser Zeltreihe, an einer Stelle, die näher am Engpass des Tales lag, liefen fünfzig reiterlose Pferde unruhig in einem behelfsmäßigen Pferch umher. Auf beiden Seiten der Einfriedung sorgten plötzliche Übergriffe kurzzeitig für Bewegung in den trägen Nebelschwaden, und als Valerius daraufhin etwas genauer hinschaute, lagen zwei Wachen der gallischen Kavallerie ausgestreckt im Schnee, und aus ihren Kehlen und Leisten strömte leuchtend rot das Blut.
In der Nähe der Zelte, hinter der Einfriedung, wurde einmal kurz ein weißes Tuch geschwenkt. Daraufhin tauchte linker Hand von Valerius eine Gestalt aus dem Windschatten eines Felsbrockens auf und hob eine Messerklinge hoch. Es war kaum hell genug, um irgendetwas sehen zu
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