Die Seherin der Kelten
hinter sich und war von den Hiberniern freundlich empfangen worden. Und weiterhin liefen die Schiffe zweimal täglich voll beladen aus, um auch noch die Übrigen so schnell in Sicherheit zu bringen, wie Wind und Wellen es nur irgend erlaubten.
Dennoch gab es keine Garantie dafür, dass sie es rechtzeitig schaffen würden. Denn im Westen hatte der Frühling dieses Jahr schon recht früh Einzug gehalten, begleitet von einem warmen, von der See her wehenden Westwind, der überall, außer von den höchsten Gipfeln, den Schnee abgetragen hatte. Auf dem jenseits der Meerenge gelegenen Festland erreichten die Vorbereitungen von Suetonius Paulinus, fünfter Gouverneur von Britannien von Neros Gnaden, unterdessen einen Höhepunkt, der von den Kundschaftern und Spähern der Eingeborenen mit wachsender Besorgnis beobachtet wurde.
Erst unlängst hatten zwei Flügel der Hilfskavallerie ihr Feldlager so nahe an der Meerenge aufgeschlagen, wie es noch keine Truppe je zuvor gewagt hatte. Spione berichteten, dass die Soldaten den Befehl erhalten hätten, alle Krieger Monas aus den Gebirgspässen hinauszutreiben und zu töten. Ersteres schien ihnen auf jeden Fall schon einmal zu gelingen.
Luain mac Calma hob einen Kieselstein vom Ufer auf und ließ ihn über das kabbelige Wasser der Meerenge springen. Fünfmal hüpfte der Stein über die Wellen, bevor er schließlich versank. Wenn durch seine Bewegung die Götter sprachen, so konnte jedenfalls nur Luain mac Calma dieses Omen deuten. »Valerius? Was werden sie mit ihr machen?«, fragte er mit leidender Miene.
»Sofern sie keinen anders lautenden Befehl haben, werden sie sie höchstwahrscheinlich zu den Inquisitoren in die Festung schaffen.«
Valerius starrte auf das Wasser hinaus und strich dabei mit den Fingern durch das raue Fell seines Hundes. Das Tier war zu ihm zurückgekehrt, als die ersten Schiffe nach Hibernia ausgelaufen waren, so als ob von ihm verlangt worden wäre, bei der Abreise der Menschen von Mona zugegen zu sein. Was immer auch der Grund für seine Rückkehr sein mochte, Valerius hatte den Hund so überschwänglich begrüßt, wie er auch Hail empfangen hätte. Dennoch hatte das Erscheinen des Hundes zugleich auch ein ungutes Gefühl in ihm ausgelöst, eine böse Vorahnung, die Valerius einfach nicht abschütteln konnte.
Während die Evakuierungen ihren Fortgang nahmen, hatte Valerius eine zunehmend stärker werdende innere Leere empfunden, so wie es ihm früher, in den Tagen vor einer Schlacht, stets ergangen war. Infolgedessen hatte er tagtäglich die Meerenge beobachtet und nach Braints Heimkehr Ausschau gehalten; daher war er auch der Erste gewesen, der gesehen hatte, wie die Krieger die Abhänge hinuntergerast kamen und auf die Fähre zuhielten, und dann gleich noch einmal der Erste, dem aufgefallen war, dass Braints Pferd bei ihnen war, aber keine Reiterin auf seinem Rücken trug. Was Valerius jedoch am meisten überrascht hatte, war, dass ihn diese Entdeckung innerlich berührte.
Die See kräuselte sich unter einer kräftigen Windböe. Die Fähre tanzte auf ihrem Anlegeplatz hin und her und zerrte an ihrer Vertäuung, festgehalten von Sorcha, der Fährfrau, die schon zu viele Krieger hatte hinausreiten und nicht mehr zurückkehren sehen, als dass die Meldung von Braints Verschwinden sie nun noch sonderlich tief zu berühren vermocht hätte. Eine Woge der Übelkeit stieg in Valerius auf, und diese Übelkeit war nicht nur Symptom der verfrüht einsetzenden Seekrankheit. Im Laufe des Winters, während sein geschundener Körper langsam wieder genesen war, hatte Valerius von mac Calma gelernt, Nemains Wispern besser wahrzunehmen, ihre Botschaften besser zu verstehen. In diesem Moment spürte er ganz deutlich ihre Berührung - in der Vertrautheit des Hundes und in der Stille des Tages -, doch es war die plötzliche Anwesenheit von Mithras - er hatte sich abrupt in Valerius’ Gedanken hineingedrängt -, die die Übelkeit auslöste.
An den jungen silurischen Katapultschützen gewandt sagte Valerius: »Wie genau kam es eigentlich dazu, dass Braint überwältigt wurde, kannst du mir das berichten?«
Bereitwillig gab der Junge Auskunft, nur zu froh darüber, sich endlich laut dazu äußern zu dürfen, so als ob er durch seine Schilderung die Vergangenheit noch einmal neu schreiben könnte. »Ein Flügel der Kavallerie kampierte am oberen Ende des langen Passes auf der anderen Seite der Berge dort drüben...« Er wies mit einer weit ausholenden Armbewegung auf die
Weitere Kostenlose Bücher