Die Seherin der Kelten
seine Zuhörer zu erreichen, wusste, wie er sie mitreißen konnte, selbst wenn sie ihn noch so sehr verabscheuen mochten. Er erhob seine Stimme also, so dass sie bis zu den äußersten Rändern der versammelten Menge schallte: »Ihr wisst, wer ich früher einmal gewesen bin. Ihr wisst auch, welches Amt mir der Vorsitzende des Ältestenrats übertragen hat. Ich habe ihm gegenüber ebenso den Treueid leisten müssen wie ihr, bin ebenso gebunden wie ihr; wir haben in dieser Sache also keine andere Wahl. Bis Braint zurückkehrt, um ihren Platz als ranghöchste Kriegerin wieder einzunehmen - und glaubt mir, ich wünsche mir das genauso sehr wie ihr -, seid ihr eidlich verpflichtet, mir zu folgen.«
So viel wussten sie bereits. Valerius beobachtete, wie die Krieger reagierten, und revidierte daraufhin seine Einschätzung, wem er vertrauen könnte, noch einmal.
Er fuhr fort: »Braint ist gefangen genommen worden und darf die Festung der Zwanzigsten unter keinen Umständen lebend erreichen. Entweder wir bringen sie heil und unversehrt wieder nach Mona, oder wir lassen sie tot dort zurück. Das sind unsere beiden Wahlmöglichkeiten.«
Auch das mussten sie bereits gewusst haben, doch sie wollten es nicht von ihm hören. Wenn allein ihr Wunsch hätte töten können, wäre Valerius auf der Stelle tot umgefallen.
Er vermochte aber nicht zu töten, und so fuhr Valerius fort: »Der Kavallerieflügel kampiert nicht nur zufällig in dem langen Pass. Das Ganze ist eine Falle, und bisher ist erst die erste Hälfte dieser Falle zugeschnappt. Die Soldaten waren der Köder, der dazu diente, Braint anzulocken und gefangen zu nehmen, und Braint wiederum ist nun der Köder für einen noch größeren Preis - und der seid ihr. Der Gouverneur kennt den überragenden Mut und das ausgeprägte Ehrgefühl der vereidigten Speerkämpfer von Mona, und er versucht mit allen Mitteln, euch zu vernichten, damit er die Insel gefahrlos einnehmen kann.«
Valerius schmeichelte ihnen, und dafür verachteten sie ihn nur noch umso stärker. Er fuhr fort: »Sie werden folglich also schon auf uns warten - aber vielleicht nicht nur sie. Es ist durchaus möglich, dass dies die größte Falle von allen ist. Wir müssen auch in Betracht ziehen, dass dies womöglich der Anfang des finalen Großangriffs auf Mona ist: dass der Gouverneur es darauf angelegt hat, die Gesamtheit unserer Krieger aus der Reserve zu locken und in diesen einen schmalen Pass hineinzutreiben, was es den Legionen ermöglichen würde, ungehindert auf Mona einzumarschieren. Das geschehen zu lassen, habe ich jedoch keineswegs die Absicht.«
Der eine oder andere unter seinen Zuhörern hatte offenbar bereits an diese Gefahr gedacht, die meisten jedoch nicht. Valerius spürte, wie sich die Atmosphäre im Raum schlagartig veränderte. Der Hund kam an seine Seite, und diesmal nahmen ihn mehr von ihnen wahr als noch zuvor.
Valerius verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Wie ein Feldherr, der zu seinen Truppen spricht, fuhr er fort: »Es gibt drei Wege, die uns offen stehen: Erstens, wir können Braint lebend wieder zurückbringen, was das Beste ist, worauf wir hoffen können. Wenn das misslingt, dann lautet die zweite Möglichkeit: Wir können sie töten und damit wissen, dass sie eines sauberen Todes gestorben ist, was zwar nicht gut wäre, aber noch lange nicht das Schlimmste, was passieren könnte. Oder, drittens, wir könnten Braint aufgeben und ihrem Schicksal überlassen und stattdessen unsere Kraft und Energie darauf verwenden, diese Insel zu verteidigen und alles, was auf ihr ist, damit die Evakuierung ihren Fortgang nehmen kann, bis sie abgeschlossen ist oder auch der Letzte von uns gefallen ist - je nachdem, was als Erstes eintritt.«
Zum Schluss sprach er nicht etwa gegen tumultartigen Lärm an - Aufruhr und laute Proteste wurden im Großen Versammlungshaus nicht geduldet -, aber doch gegen einen solchen Chor von kummervollen Seufzern, dass seine letzten Worte ebenso untergingen, als ob die Krieger ihn niedergebrüllt hätten.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, fuhr Valerius mit seiner Rede fort, dämpfte seine Stimme dabei jedoch so sehr, dass die Krieger sich anstrengen mussten, um ihn zu hören, und auch die Letzten von jenen, die unruhig mit den Füßen scharrten, gezwungen waren, still zu sein.
»Es gibt allerdings noch eine vierte Möglichkeit: dass wir die Krieger von Mona aufteilen, dass der größere Teil von euch hier auf der Insel bleibt und die Meerenge gegen die
Weitere Kostenlose Bücher