Die Seherin der Kelten
die Erlaubnis erhalten hatte, sich wieder zu rühren, galt es für ihn natürlich, sich zu beweisen, und er gab in der Tat sein Bestes. Die Aufstellung, in der seine Männer nun wieder aus der Ecenisiedlung hinausmarschierten, entsprach zwar nicht den höchsten militärischen Ansprüchen, doch sie war immerhin deutlich strukturierter, als sie es zum Zeitpunkt ihres Einmarsches gewesen war.
Nachdem schließlich auch der Letzte von ihnen wieder abgezogen war, ereigneten sich eine ganze Reihe von Dingen. Als Erstes wurde der Kundschafter vom Stamme der Coritani ausgeschickt, um Wasser zu holen und den Töchtern des Königs so gut behilflich zu sein, wie er nur irgend konnte. Unterdessen bestieg der Rittmeister der Kavallerie des Präfekten, der bei Cygfa und Graine gewartet hatte, sein Pferd und befahl seinen Männern, es ihm nachzutun. Zwanzig erfahrene Kavalleristen versammelten sich auf bereits unruhig tänzelnden Pferden; anschließend ritten sie geschlossen zum Tor hinaus, um auf der anderen Seite des Zauns zu warten. Damit war auch Corvus gezwungen, wieder zu handeln. Geradezu gewaltsam riss er seinen Blick von Valerius los und schaute stattdessen auf jene Frau hinab, um die herum er bereits bei seiner Ankunft schützend sein Pferd die Hufe hatte platzieren lassen.
»Breaca?«
Sie war tot; Cunomar war sich dessen ganz sicher. Von dem Augenblick an, als der Präfekt in die Siedlung geritten kam, hatte sie sich nicht mehr bewegt. Selbst das Heben und Senken ihres Brustkorbs war - ganz gleich, wie schwach dies auch zuvor bereits gewesen sein mochte - nicht mehr zu erkennen.
»Breaca?« Hastig schwang Corvus sich vom Rücken seines Tieres, kniete neben ihr nieder und presste die Finger an die Seite ihres Halses. Dann erhob er sich, zerrte seinen am Sattel befestigten Wassersack herunter und tröpfelte ein wenig von der Flüssigkeit in Breacas Mundwinkel. »Breaca?«
Breaca hustete, sie lebte also.
Cunomar schwankte in den Ketten, mit denen er gefesselt war. Neben ihm stieß Ardacos zuerst einen Fluch aus, schließlich weinte er. Airmid war unterdessen dicht an Breaca herangetreten, nur drei Schritte trennten sie noch von ihr - und nachdem sie auch den letzten gewagt hatte, fiel sie neben Breacas Kopf auf die Knie. Dann nahm sie den Wassersack entgegen, den man ihr anbot, und goss Breaca behutsam, so dass sie es diesmal auch trinken konnte, ein wenig davon in den Mund. Leise sprach sie auf ihre Freundin ein, und Breaca antwortete ihr sogar, allerdings in einem viel zu heiseren Flüstern, als dass man es auch auf dem Platz noch hätte hören können - allein das Wort »Graine?« war klar zu verstehen gewesen. Airmids Antwort jedoch verlor sich bereits wieder in dem gleich darauf einsetzenden Hustenanfall.
»Valerius?« Corvus trat einen Schritt zurück und schwang sich wieder auf sein Pferd.
Der Ausdruck in Valerius’ schwarzen Augen war nicht zu deuten. »Danke«, entgegnete er schlicht. »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest. Dass du nun doch erschienen bist, ist ein größeres Geschenk, als ich dir jemals zurückzahlen könnte.«
»Ich bin Breacas wegen gekommen«, widersprach Corvus. »Und ihrer Töchter wegen. In den Köpfen der Legionen bist du tot. Und es wäre am besten, wenn du das auch bleiben würdest.«
»Dann warst du eben einem Geist dabei behilflich, endlich Erlösung zu finden. Und dafür ist dir dieser Geist unendlich dankbar.« Sehr langsam beugte Valerius sich nun vor und streckte Corvus in dem Gruße der Soldaten seinen Arm hin, jenem Gruß, der den Abschied bedeutet und zugleich auch eine Aufforderung zum Kampf. »Es tut mir Leid, dass ich dir all dies eingebrockt habe.«
Nach einem kurzen Moment des Innehaltens ergriff Corvus mit steifer Geste den ihm angebotenen Arm. »Echte Erlösung?«, fragte er.
»So echt, wie die Erlösung, die die Götter uns schenken, überhaupt nur sein kann. Ich habe dich vermisst. Und werde dich auch weiterhin vermissen.«
»Und ich dich.«
Sie würden nun nicht in Tränen ausbrechen, keiner von ihnen, und doch schien die Luft von ihrer beider Bedürfnis zu weinen geradezu zu knistern. Doch an ihrer statt weinte Cunomar, durch den hämmernden Schmerz in seinem Kopf hindurch und trotz des wunden Gefühls in seiner Kehle; obwohl er auch nicht wusste, warum genau er nun eigentlich Tränen vergoss.
Eine Krähe schrie, und wie auf einen Befehl hin rissen Valerius und Corvus sich voneinander los. Der Präfekt ließ sein Pferd auf der Hinterhand
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