Die Seherin der Kelten
zunächst auf die kleineren Opfer konzentriert hatte, die ihr Vorhaben von ihr verlangen würde; damit der Gedanke an die größeren, noch anstehenden Entbehrungen sie nicht gleich zu Anfang bereits erdrückte. Und es war wahrlich nicht schwer gewesen, sich Dinge in Erinnerung zu rufen, um die man trauern konnte: der Verlust von Stone, der der beste Kampfhund war, den sie jemals gehabt hatte, und der der letzte noch lebende Nachkomme von Hail war; der Verlust des grauen Hengstes, der im Frühjahr die blaue Stute hätte decken sollen; der Verlust des einjährigen Stutenfohlens, das die bereits lebende Tochter des Hengstes und der Stute war und das eines Tages seine beiden Elternteile weit übertroffen hätte; der Verlust der vielen Jagdmesser, die jetzt auf dem Bord neben ihrer Schlafstelle in dem großen Rundhaus lagen; der Verlust der uralten Klinge mit dem Bild der Bärin auf dem Heft, die gerade ihre Jungen säugte, jener Klinge, die einst ihrem Vater, Eburovic, gehört hatte und davor dessen Vater und davor wiederum dessen Mutter, deren Geschichte zurückreichte bis in jene Zeit, als noch die Urahnen der jetzigen Eceni gelebt hatten.
Diese Klinge hätte an Cunomar gehen sollen, als ein Geschenk anlässlich seiner drei langen Nächte der Einsamkeit - aber vielleicht würde er sie ja trotz allem noch bekommen. Ardacos wusste, wo sie versteckt lag, und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde er wissen, was zu tun war, würde die richtigen Worte bei der Übergabe finden, als ob er der Vater des zum Manne werdenden Jungen wäre, nicht lediglich sein Lehrer. Cygfa würde an der Zeremonie nicht teilnehmen dürfen - nur Männern war es erlaubt, der Weihung eines Jungen zu seinen langen Nächten der Einsamkeit beizuwohnen, so wie nur Frauen den Mädchen zur Seite stehen durften. Hinterher aber könnten Cygfa und Airmid und Graine ihm das Haar flechten, wenn er wieder herauskam, um …
Breaca hielt inne und verfluchte ihre ungezügelten Gedanken. Sie hatte sich noch nie als schwach betrachtet. Und das sollte auch so bleiben.
Angespannt atmete sie durch, hob den Kopf und richtete ihren Blick über das Feuer hinaus und genau dorthin, wo sich vor dem Halbrund von Nemains Licht die Silhouetten der blattlosen Zweige abzeichneten. Als Breaca oberhalb des römischen Lagers gelegen hatte, war der letzte Tag des abnehmenden Mondes gewesen, doch er war bereits zu alt, als dass man ihn in der Nacht noch hätte erblicken können. Nun war er bereits wieder halb voll und warf Schatten über die Landschaft. Fünf Tage waren vergangen, während sie in der Höhle ihre Wunden geheilt hatte, und ein jeder dieser Tage war so lang gewesen wie ein ganzes Leben.
Die Geräusche der Nacht waren zahlreicher geworden. Aus Richtung Süden fegte ein feuchter Wind heran und presste die über dem Feuer schwebende Hitze flach und breit auseinander. Die immer dunkler werdenden Bäume neigten ihre Wipfel nach Norden, und der Himmel hinter ihnen glitzerte im Licht der ersten Sterne. Die Rotschimmelstute scharrte unruhig mit den Hufen, schnupperte prüfend in die Brise, stampfte abermals auf und schnaubte dann leise durch die Nüstern.
Beweg dich!
Doch es war nicht etwa die Ahnin, die sich an sie wandte, sondern Breacas eigene, älteste Instinkte, die untrennbar mit dem Schlangenspeer und dem Leben verwoben waren. Breaca erhob sich, schüttelte den Umhang aus und warf ihn über die Feuerkuhle, um den hellen Lichtschein zu ersticken. Ihre Katapultsteine hielt sie in der einen Hand, die Schleuder in der anderen, und schon war sie im Schutz der Bäume verschwunden, wo sie lautlos über die regennassen Blätter eilte. Das Unterholz, durch das sie schritt, schien sich bereitwillig vor ihr zu teilen, um sie hindurchzulassen, und sich anschließend wieder hinter ihr zu schließen, ganz so, als wolle es bestreiten, dass Breaca überhaupt jemals dort gewesen sei.
Wende dich nach Süden; denn auch der Wind kommt aus Süden und hat der Stute den Geruch von Menschen entgegengetragen.
So leicht und geräuschlos wie der Flug einer Eule rannte Breaca in einem Bogen in die vorgegebene Richtung und tauschte dabei die Schleuder gegen ihr Messer aus, um den Verfolger aus der Deckung heraus schneller töten zu können. Ihre Stute stand so still und reglos da, als ob sie aus Granit gemeißelt und Teil der Nacht wäre. Unter Umständen würde der mittlerweile aus dem vom Feuer gewärmten Mantel aufsteigende Dampf den Fährtenlesern zwar verraten, dass sie sich
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