Die Seherin der Kelten
kleinen, kupferfarbenen Sprenkeln, und sie waren erfüllt von einer inneren Unruhe und Aufgewühltheit, die Graine in Airmids Augen nie gesehen hatte.
Da Graine nicht wusste, was sie sagen sollte, schwieg sie. Breaca runzelte die Stirn, beugte sich vor und zog irgendetwas Verkohltes aus der Glut. Dann hielt sie es Graine hin und sagte: »Es ist noch etwas Hasenfleisch übrig. Vielleicht hilft es dir ja zu schlafen, wenn du das gegessen hast?«
Mehr noch als das Lächeln machten die Worte den Unterschied. Graine hatte noch nie zuvor gesehen, wie ihre Mutter plötzlich schüchtern wurde, und hätte auch nie gedacht, dass sie der Grund für eine solche Zurückhaltung sein könnte. Mit einem merkwürdigen, leicht ziehenden Gefühl im Magen löste sie sich von Stone und rutschte in die ausgestreckten Arme ihrer Mutter. In ihrer schützenden Umarmung, in der Geborgenheit dieses festen Griffs, der sie bereits während der scharfen Ritte der vergangenen zwei Tage gehalten hatte, dort war sie in Sicherheit, sie, die sich zuvor gar nicht bewusst gewesen war, wie sehr sie sich gefürchtet hatte. Sie vergrub das Gesicht an der Tunika ihrer Mutter und atmete den Geruch nach Pferd und nach Schafsfett und Leder ein, der sich so fest an Breaca klammerte, wie Graine es bereits damals schon getan hatte, als sie gegen ihren Willen aus dem schützenden Mutterleib herausgezerrt worden war.
Nach einer Weile, als aus dem Feuer der Geruch von verkohltem Fleisch aufstieg, lösten sich Mutter und Tochter wieder ein wenig voneinander, zogen den Hasenschenkel aus der Glut und teilten ihn sich gemeinsam mit Stone, der sich zwischen sie gedrängt hatte und nun zu ihren Füßen lag.
Nachdenklich sagte Breaca: »Besser, ich rasiere ihm heute Morgen noch die Haare ab, ehe wir wieder weiterziehen.«
»Wessen Haare?« Graine hatte sich gegen ihre Mutter gelehnt und die Augen geschlossen, und sie wollte sie auch nicht mehr öffnen.
»Stones. Er ist ein viel zu guter und wertvoller Hund, als dass man ihn so, wie er jetzt ist, im Osten zu Gesicht bekommen sollte. Die Römer versklaven nämlich nicht nur die Menschen, sondern auch die Hunde. Aber sie haben keinen Blick für das, was unter der Oberfläche liegt. Wenn ich ihm jetzt also das Fell so schere, dass es aussieht, als hätte er die Räude, dann werden sie ihn nicht wahrnehmen, und dann wird er in Sicherheit leben können.«
Der kühle Morgen wurde plötzlich regelrecht unangenehm kalt. Graine zog die Knie unter das Kinn. Sie starrte in das Feuer und wünschte, die Großmütter hätten in der Dunkelheit zu ihr gesprochen. Auf Mona hätten sie das getan, und dann würde Graine von alledem, was jetzt gerade passierte, wenigstens ein bisschen verstehen. »Und du willst immer noch in den Osten reisen, um den Torques deines Volkes wieder an dich zu nehmen?«, fragte sie.
» Unseres Volkes. Sie sind genauso dein Volk, wie sie auch meines sind. Ja. Und ich will die Krieger wieder zum Kampf aufstacheln. Die Ahnin hatte sich da sehr klar ausgedrückt. Nach Mona kann ich jetzt nicht mehr zurück, nicht, solange ich auch noch einen Funken Ehrgefühl im Leib habe.«
Zu vieles hing in einem viel zu fragilen Gleichgewicht, und Graine sah keine Möglichkeit, das Zünglein an der Waage nun in die Richtung zu bewegen, in der sie es gern sehen wollte. Sie hatte die drückende Stimmung gespürt, als Airmid ihrer Mutter auf der Lichtung gegenübergetreten war und beide möglichen Welten offen nebeneinander gelegen hatten - als einen Augenblick lang alles möglich gewesen war. Doch es gab da eine Sache, die noch nicht ausgesprochen worden war und die doch dringend gesagt werden musste. Und es lag an ihr, Graine, genau dies nun zu tun.
Sie probierte den Satz ein- oder zweimal im Geiste, und dann, als immer noch keinerlei Schelte von den Großmüttern zu hören war, sagte sie: »Wusstest du, dass Gwyddhien tot ist?«
Gwyddhien war, ehe Graine geboren wurde, Airmids Liebhaberin gewesen. Sie war die Anführerin der silurischen Krieger gewesen und in den Zeiten, wenn die Bodicea nicht da war, auch die Anführerin der Krieger von Mona. Sie war getötet worden, als sie ihre Krieger im Spätsommer in die Schlacht gegen die Briganter von Cartimandua geführt hatte, die auf der Seite Roms kämpften. Die Trauer, die Airmid seitdem empfand, war eine sehr private Angelegenheit, und niemand sprach davon. Die Eile, mit der sie kurz darauf Mona hatten verlassen müssen, um die Bodicea zu finden, war also eine gute
Weitere Kostenlose Bücher