Die Seherin der Kelten
anderen Umständen vielleicht der Fall gewesen wäre.
Jedes Gefühl von Sicherheit hatte sich hier verloren. Während sie also immer näher auf den Eingang zuritten, richteten sich auf Breacas Armen plötzlich prickelnd die Härchen auf, und ihre Stute schnaubte unruhig, so dass ihr Atem kleine Dampfwölkchen in der frostigen Luft bildete. An Breacas einer Seite marschierte mit steifen Schritten Stone, auf ihrer anderen ritt leise fluchend Ardacos. Vor ihnen lagen nur das Mondlicht und die Schatten sowie ein Haufen Steine und Erde, der über den Gebeinen der Toten aufgeschichtet worden war; und eigentlich hätte die Reisegruppe diese Dinge längst gewohnt sein müssen und nicht derart große Furcht vor einem uralten Zorn empfinden sollen.
Nur Airmid schien davon völlig unberührt zu sein. Sie ritt bis dicht an den Eingang heran und ließ sich anschließend auf den Boden gleiten. Das Mondlicht ließ sie erblassen, bis sie nurmehr eine Silhouette zu sein schien, die zu einem Teil der Steine und der Erde geworden war. Vor den Wächtersteinen kniete sie für eine Weile nieder und zeichnete mit den Fingerspitzen die verborgenen Linien auf deren Oberfläche nach. Breaca wartete etwas abseits des Grabeingangs und hörte das rhythmische Murmeln einer Unterhaltung, nur dass sie bloß eine der beiden Stimmen verstehen konnte; ein Dialog, wohl ähnlich dem, wie sie selbst ihn mit der Träumerin der Ahnen in der Höhle geführt hatte.
»Hier ist es.« Airmid trat einen Schritt von dem Grabhügel zurück. Vor den riesigen, schweren Steinen schienen Airmids Gesichtszüge noch weicher geworden zu sein, schienen ein wenig verschwommen, als ob sie gerade eben erst aus einem Schlaf erwacht wäre. »Efnís ist bereits hier gewesen«, erklärte sie, »und einer von den anderen Stämmen, aber das ist alles schon länger als drei Jahre her. Und die Römer sind noch nie hier eingedrungen. Die Geister der Ahnen haben diesen Ort stets gut beschützt und niemanden eintreten lassen, ausgenommen die Stärksten unter den Träumern. Ich wüsste also keinen Ort, an dem eure Waffen noch besser vor den Römern geschützt sein sollten als hier.«
Airmid hatte zu einer Ansammlung schweigender Krieger und einem Kind gesprochen. Nun räusperte Ardacos sich und drängte sein Pferd vorwärts. Das Tier aber traute dem silbrigen Licht nicht so recht; es weigerte sich, noch dichter auf den Hügel zuzugehen, und wich seitwärts aus.
Ardacos war kein schwacher Mann. In den vergangenen zwanzig Jahren hatte er im Dienste der Bärin gekämpft und stets mit nichts anderem als seinen bloßen Händen mehr Römer getötet als jeder andere zurzeit noch lebende Krieger. In einer Schlacht vertraute Breaca ihm wie sonst nur wenigen anderen. Und nicht Feigheit war der Grund dafür, dass er schließlich sagte: »Dieser Platz hier ist Nemains Ort und der der alten Seelen. Doch Nemains Gottheit ist von einem anderen Wesen als die Gottheit der Bärin, und ich möchte keine von beiden entehren. Es wird also wohl das Beste für mein Schwert sein, wenn ich es an einem anderen Ort vergrabe.«
Airmid lächelte nur. Schön und weiß wie Kalk schimmerte ihre Haut im Mondlicht. Ihre Stimme schien aus einer anderen Welt zu ertönen. »Die Bärin ist hier genauso willkommen wie alle anderen auch, beziehungsweise genauso unwillkommen. Und gerade die Gefahr, die von diesem Ort ausgeht, ist es doch, die deine Waffen schützen wird.«
Genauso wie Airmid, so schien auch Cygfa den Tod nicht zu fürchten. »Ich möchte die Geister der Vergangenheit ebenso wenig verärgern, wie Ardacos das möchte. Wenn es unsere Gegenwart ist, die sie hier nicht mögen, dann könnten wir die Waffen ja auch dir geben, und du versteckst sie dann für uns«, schlug Cygfa vor.
Jetzt aber schüttelte Airmid den Kopf. »Nein. Denn für den Fall, dass ich sterben sollte, wären eure Waffen damit für immer verloren. Ihr müsst also schon jeder selbst eintreten und eure Klingen jeweils an den am besten dafür geeigneten Platz legen. Denn nur dann werdet ihr sie - wenn der Krieg beginnt und wir sie brauchen - in dem Grab auch wiederfinden.«
Wenn der Krieg beginnt... Zumindest dieser Teil der Vision der Ahnin schien also schon einmal gewiss. In der kalten Nacht auf dem Rücken ihres Pferdes, sah Breaca plötzlich abermals jenes Traumbild vor sich, in dem die Eceni, versammelt unter einer Gruppe von Anführern, wie eine Flutwelle vorwärts stürmten und die römischen Legionen einfach zermalmten. Der Adler
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