Die Seherin der Kelten
meines Herzens, ich liebe dich; und solange ich lebe, werde ich nicht zulassen, dass Rom dich tötet, das schwöre ich.«
VII
Im Land der Eceni lag Schnee, und die Luft schien von einem ganz eigenen Gewicht zu sein - sie roch nach alten, ungeklärten Träumen.
Doch auch die dünne weiße Decke war nicht im Stande, das ausgehungerte Gerippe zu verbergen, dem die Erde hier glich. Je tiefer Breacas Gruppe in die besetzten Gebiete eindrang, desto wilder und ungepflegter wucherten die Hecken einfach vor sich hin, desto häufiger waren die Abzugsgräben verschlammt, desto dichter waren die ehemaligen Felder von einem Wald aus Unkraut überzogen. Die Koppeln standen leer und hatten sich in glitschige Schlammkoben verwandelt; zu viele Schafe, zu viel Vieh hatte die Weiden zu stark abgegrast, und letztendlich starben sie doch alle den Hungertod.
Das alles hatte für Breaca eine nur zu beängstigende Ähnlichkeit mit jenem Land aus der Vision, welche ihr die Träumerin der Ahnen geschickt hatte. Als sie dies sagte, erwiderte Dubornos nüchtern: »Die Menschen zahlen ihre Steuern mit dem Fleisch ihrer Tiere und mit dem Getreide, das sie erwirtschaften. Das Land muss jetzt also doppelt so stark ausgebeutet werden wie vorher: einmal für die, die das Land bestellen, und dann noch einmal für die, die behaupten, die Eigentümer zu sein.«
»Aber was ist mit dem restlichen Leben hier?«, fragte Ardacos. »Wo sind die Vögel? Die Füchse? Die Feldhasen? Müssen die etwa auch dafür herhalten, um die Steuern zu begleichen?«
»Einige. Denn wenn es kein Rindfleisch mehr gibt, dann nimmt Rom auch Fuchspelze und Hasenfleisch als Zahlungsmittel entgegen. Und was die anderen angeht - würdest du denn etwa an einem Ort bleiben, wo die Legionen sich sogar die Erde selbst zum Untertan gemacht haben? Sie sind geflüchtet und kommen erst wieder zurück, wenn die Götter das Gleichgewicht auf der Welt wieder hergestellt haben.«
Dieses Wissen machte ihnen ihre Reise nicht gerade leichter. Breaca ritt an der Spitze des kleinen Trupps, hin und her gerissen zwischen dem Befehl der Ahnin, der sie antrieb, und ihrem neuen Schwur, den sie auf dem Scheitel ihrer Tochter abgelegt hatte. Jenem Schwur, mit dem sie versprochen hatte, dass sie stets dafür sorgen wollte, dass Graine und möglichst auch alle anderen, die mit ihr reisten, immer in Sicherheit waren.
Breaca ritt auf die gleiche Weise, wie sie schon die ganze Zeit über seit ihrer Flucht von der Lichtung geritten war: einen Arm um Graine gelegt, die vor ihr im Sattel saß. Von außen betrachtet hatte sich in ihrem Verhältnis zueinander nichts verändert. Innerlich aber hatte Breacas Fürsorge für Graine eine neue Qualität angenommen, und alle, die gemeinsam mit ihr ritten, wussten das. Jener Teil von Breaca, der noch immer der Träumerin der Ahnen verhaftet war, spottete darüber, wie schnell sie sich doch von ihrem ursprünglich gefassten Entschluss wieder hatte abbringen lassen, und prophezeite allen, die mit ihr ritten, einen Tod, wie er schrecklicher nicht sein könnte.
Der andere Teil von Breaca aber - und dies war der beherrschende Teil - sog die Gegenwart ihrer Tochter förmlich in sich auf, ebenso begierig, wie ein Verdurstender kaltes Wasser trank. Und es wundert dich, dass sie sich enger an andere halten als an dich? Breaca hatte es ganz vergessen, falls sie es denn überhaupt schon einmal empfunden haben sollte, wie es ist, sich in der Liebe zu einem Kind zu verlieren. Sie schwankte zwischen Hoffnung und Angst, die beide zu gleichen Teilen ihr Herz erfüllten, und mit jedem Schritt, den ihr Pferd tat, hoben und senkten sich diese beiden Seiten ihrer inneren Waage erneut.
Gemäß dem römischen Gesetz, wonach Krieger keinerlei Waffen bei sich führen durften, die länger waren als ein Häutemesser, ritten Breaca und ihre Reisegefährten unbewaffnet in das besetzte Gebiet ein. Ihre Schwerter sowie auch alles andere, das sie als Krieger ausweisen könnte, hatten sie im Eingang eines Grabhügels der Ahnen zurückgelassen, zu dem Airmid sie am Abend jenes Tages geführt hatte, an dem Ardacos und Cygfa wieder zu der Gruppe gestoßen waren.
Der Grabhügel schien sich dicht an die Erde zu schmiegen, versteckt hinter Gestrüpp und dünnen Schleiern von Flussnebel. Und als sie sich ihm von Westen her genähert hatten, hatte der gerade aufgehende Mond lange Schatten darüber gegossen, wodurch der Grabhügel größer und noch weniger einladend erschienen war, als das unter
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