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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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oder Plural?«
    Schwemmer fühlte sich ertappt. Er pustete leicht
betreten die Wangen auf. Dräger hatte recht. Natürlich durfte man nicht wie
selbstverständlich davon ausgehen, dass hier alles Johanna Kindels Schilderung
gemäß abgelaufen war.
    »Ihr tut grad so, als wüsstet ihr schon genau, was
hier passiert ist«, setzte Dräger hinzu.
    »Wen meinen Sie denn mit ihr ?«, fragte
Schwemmer.
    »Na ja, Vicky und dieser Bredemaier.«
    »Vicky?«
    »Also … Frau Isenwald, mein ich natürlich.«
    »Die heißt Vicky? Wusst ich gar nicht.«
    »Viktoria, eigentlich.«
    »Oh … und der Bredemaier, war der auch schon hier
oben?«
    »Nein. Aber den hatt ich am Handy, kaum dass wir hier
angefangen hatten. Was ist eigentlich mit dem? Ist der weisungsberechtigt?«
    »Nein. Was wollte er denn?«
    »Informationen zum Tathergang, was sonst? Das wollen
Sie doch auch, oder?« Dräger grinste.
    »Logisch«, sagte Schwemmer mit einem kleinen
Schulterzucken.
    »Hab ich aber nicht«, sagte Dräger ohne Bedauern.
»Noch nicht. Aber es gibt etwas, das überhaupt nicht zu eurer Version passt.
Also zu der von der Kindel, mein ich.« Er marschierte zu seinem Kombi, der mit
offener Heckklappe ein gutes Stück wegabwärts stand. Dort öffnete er eine
Alukiste und nahm mehrere verschlossene Plastikbeutel heraus. Er reichte
Schwemmer drei davon.
    Sie enthielten Haare.
    »Und das sind diesmal keine Hundehaare. Ohne
mich allzu weit aus dem Fenster zu lehnen, würde ich sagen: Menschenhaare,
gefärbt. Insgesamt fast ein Dutzend von mindestens drei verschiedenen Personen.
Zwei verschiedene Sorten in Schwarz und eine in Rot.«
    Er nahm Schwemmer die Beutel wieder ab und gab ihm
einen anderen.
    »Und das hier wird wahrscheinlich auch nicht von einem Frosch stammen.«
    Schwemmer besah sich das einzelne Haar, das in einem
Placken verkrusteten Blutes klebte. Es war glatt und schwarz.
    »Dann gab’s noch das hier …« Dräger reichte ihm ein
weiteres Tütchen, das winzige Krümel enthielt, die sich bei genauem Hinsehen
als dunkelgrün darstellten. Sie schienen pflanzlichen Ursprungs.
    »Ist es das, wonach es aussieht?«, fragte Schwemmer.
    »Bis das Labor mir irgendeine Auskunft gibt, sind das
für mich dunkelgrüne Krümel.« Schwemmer bekam das letzte Tütchen überreicht.
»Das hier gefällt mir besonders.«
    Darin war ein winziges Stück blauen Kunststoffs,
flach, weniger als einen halben Quadratzentimeter groß und offenbar irgendwo
abgebrochen. Die unbeschädigte Kante war leicht gerundet.
    »Was ist das?«, fragte Schwemmer. »Darüber hinaus,
dass es ein abgebrochenes blaues Plastikplättchen ist, mein ich?«
    »Für mich war es genau das, bis der Kollege Schröpfer
da drüben meinte, das sei wahrscheinlich ein Teil eines Plektrums.«
    »Plektrum? Sind das die Dinger, mit denen man auf
Gitarren haut?«
    »Genau. Sagt Schröpfer. Der muss es wissen. Spielt in
‘ner Stones-Coverband.«
    Schwemmer sah verwundert zu Schröpfer hinüber.
    »Der Schröpfer? Ich dachte, der wird bald sechzig?«
    »Ja, und? Keith Richards träumt wahrscheinlich davon,
noch mal so jung zu sein.«
    * * *
    Severin saß allein im Bus nach Hause. Danni hatte
wieder Sport heute und blieb bei ihrer Freundin über Mittag. Gerade heut wäre
er gern mit ihr zusammen nach Hause gefahren.
    Die Doppelstunde Mathe hatte ihm den Rest gegeben.
Natürlich hatte Herr Riedler gemerkt, dass er nicht ansatzweise kapierte, was
er da gerade über Vektorrechnung erklärt bekam, und natürlich hatte der alte Sadist
ihn an die Tafel geholt. Riedler war ein Lehrer, der Schüler hasste. Er hatte
jedenfalls seinen Spaß gehabt an Severin heute. Severin hatte an der Tafel
gestanden und irgendwann gar nichts mehr gesagt. Riedler hatte ihn auf seinen
Platz zurückgeschickt und dann eine Note in seinen Lehrerkalender geschrieben,
über deren Höhe Severin keine Zweifel hatte.
    Dabei war ihm das alles heute noch gleichgültiger als
sonst schon. Immer wieder hatte er zu Hause angerufen, aber Großmama war nicht
da gewesen. Irgendwann hatte er dann angefangen, sich Sorgen um sie zu machen,
obwohl er wusste, dass sie oft im Garten arbeitete und dann das Telefon nicht
hörte. Gerade wenn sie schlechte Laune hatte, machte sie das. Aber er sorgte
sich trotzdem. Sah sie mit verrenkten Haxen am Fuß der Stiege liegen oder mit
einem Herzkasper zusammengebrochen in der Küche.
    Es fühlte sich an, als kröche der Bus durch die
Straßen, jeder Halt dauerte endlos, und über allem lag der Gedanke an

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