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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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Höchstdosis
von ihr bereits zugeteilt bekommen. Normalerweise hätte er jetzt Schafmann
angerufen, in dessen einem Hypochonder wahrhaft angemessenen
Arzneimittelvorräten sich schon was für ihn gefunden hätte, aber Schafmann
hatte sich vor einer Stunde dann doch nach Hause verzogen, um ein bisschen
Schlaf nachzuholen.
    Schwemmer klappte die Mappe auf, die vor ihm auf dem
Schreibtisch lag, und starrte auf das Foto des ermordeten Oliver Speck.
    Die Eltern mussten dringend informiert werden.
    Normalerweise hätte er Schafmann geschickt oder einen
anderen aus dem K1, aber das widerstrebte ihm hier in diesem Fall. Er versuchte
sich darüber klar zu werden, warum das so war, und er musste sich eingestehen,
dass er sich mitverantwortlich fühlte für das, was Oliver Speck zugestoßen war.
    Es war ein Gefühl in der Magengegend, durch und durch
unprofessionell. Nicht dass für ihn Gefühle generell unprofessionell waren,
aber dass er sich selbst in das Geschehen verwickelt fühlte, war nicht gut.
    Er nahm den Hörer ab und rief zu Hause an. Als Burgl
sich meldete und er ihre Stimme hörte, war es, als fiele ein Gewicht von ihm
ab.
    Zusätzlich erleichternd war, zu erfahren, dass der
Hexenschuss nun endgültig der Vergangenheit anzugehören schien und dass im
Suppentopf bereits ein von ihr der Rekonvaleszenz des angeschlagenen Gatten
geopfertes Huhn köchelte.
    Er versprach, wenigstens zu versuchen, um halb acht zu
Hause zu sein, und legte mit einem Lächeln auf. Irgendwie würde er den Rest des
Arbeitstages schon noch durchstehen. Burgls selbst gemachte Hühnersuppe sollte
es seiner Meinung nach auf Rezept geben. Sie war immer das Richtige in
Schwächephasen.
    Aber er ahnte, dass ein Arzt ihm etwas ganz anderes
verschrieben hätte.
    * * *
    Es war nach drei. Das Telefon hatte ein paar Mal
geklingelt, öfter und auch länger als gewöhnlich, aber Johanna hatte nicht
abgehoben. Sie fürchtete sich davor, Severin am Telefon von Spackos Tod
erzählen zu müssen. Am liebsten hätte sie ihm gar nichts davon erzählt, aber
das war natürlich nicht möglich.
    Sie war froh über die kurze Zeitspanne, die sie an
diesem Nachmittag allein hier im Haus verbringen durfte. Mit geschlossenen
Augen saß sie am Küchentisch, lauschte der Ruhe um sich herum, kein Radio, kein
Fernsehen, keine Musik aus Severins Dachstube, kein Mädchenlärm von Danni und
ihren Freundinnen. Nur dann und wann das Brummen eines Motors draußen auf der
Straße. Der April gönnte ihr einige Momente goldenen Lichts, und sie spürte der
Wärme auf ihrer Wange nach, noch als sich längst wieder eine grauweiße Wolke
vor die Sonne geschoben hatte.
    Als es an der Tür läutete, zuckte sie zusammen.
    Johanna bekam keine unangekündigten Besuche. Und
heute, an diesem Tag, dem Tag danach, erwartete sie überhaupt nichts Gutes an
ihrer Haustür.
    Sie entschied, einfach sitzen zu bleiben, obwohl sie
das nie gut gekonnt hatte.
    Es läutete erneut. Zwei Mal, kurz hintereinander.
    Immer noch blieb sie sitzen, wenngleich es sie Nerven
kostete, die sie eigentlich nicht entbehren konnte.
    Als es ein drittes Mal läutete, war es mehr als eine
Ahnung, es wurde ihr zur Gewissheit, dass draußen neuer Ärger, eine neue
Bedrohung wartete, eingelassen zu werden, und sie hatte plötzlich gar keine
Hoffnung mehr, sie verscheuchen zu können.
    Müde stand sie auf und ging zur Haustür. Als sie sie
öffnete, stand niemand mehr davor, aber am Straßenrand stieg gerade ein großer,
etwas vierschrötig wirkender Mann in den Fond eines wartenden Taxis. Als der
Mann sie bemerkte, hielt er in der Bewegung inne und stieg wieder aus. Er sagte
etwas zu dem Fahrer, der daraufhin den Motor startete und davonfuhr. Dann
richtete er umständlich seinen altmodischen Kamelhaarmantel, bevor er sich
gemessenen Schrittes auf den Weg zurück zur Haustür machte. Er war um etliches
jünger, als Johanna angesichts des Mantels erwartet hatte.
    Ein paar Jahre älter, als das Bienerl jetzt wäre,
dachte Johanna.
    Nicht dass er irgendwie Bienerls Geschmack entsprochen
hätte, oder auch nur Johannas, aber diesen reflexhaften Gedankengang hatte sie
sich nie abgewöhnen können, so als wäre sie immer noch auf der Suche nach einem
Mann für ihre einzige Tochter.
    Als der Mann vor ihr stand, war sie sich überhaupt
nicht sicher, was sie von ihm halten sollte. Seine Kleider waren fein und
ausgesucht, aber er wirkte, als trage er die Sachen eines wohlhabenden
Verwandten auf. Seine Augen waren blau, aber dieses Blau war

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