Die Seherin von Garmisch
Spacko.
Er war kein besonders guter Schlagzeuger, talentiert,
aber ein fauler Sack, und ein ziemlicher Depp war er obendrein. Wenn Severin
anschaute, was er aus sich machte – oder besser: eben nicht machte –,
packte ihn manchmal die Wut. Er hatte ohne Grund das Gymnasium abgebrochen,
seine Lehre schien er auch geschmissen zu haben, und für Severins Geschmack
behinderte seine Weigerung, regelmäßig zu üben, die Entwicklung von
»Rattenbrigade«. Wenn sie ihren ersten richtigen Gig, im Herbst auf dem
Heavy-Festival in Augsburg, platzen lassen mussten, würde es mit Sicherheit an
Spacko liegen.
Aber die Vorstellung, dass ihn jemand erschossen haben
sollte, einfach so …
Severin lehnte den Kopf an die Scheibe des
Busfensters. Er spürte das Vibrieren des Diesels und die schaukelnden
Bewegungen des Fahrens. Dann wurde er beim Bremsen nach vorn gedrückt. Der Bus
hielt an der nächsten Haltestelle. Als er hinaussah, entdeckte er Petr auf der
Bank gegenüber. Er wirkte deprimiert.
Die Tür des Busses stand noch offen. Severin sprang
auf, gerade als die Tür sich zu schließen begann. Er schwang seine Tasche in
die Lichtschranke, und die Tür stoppte mit einem pneumatischen Seufzen in ihrer
Bewegung. Der Fahrer schickte ihm ein saftiges »Ja Kruzitürkn« hinterher, aber
da war er schon draußen.
* * *
»Wo steckt denn dieser Bredemaier?«, fragte Schwemmer.
»Er sagte, er würde essen gehen und auf Ihren Anruf
warten«, antwortete Frau Fuchs. »Sie möchten sich doch bei ihm melden, aber
nur, wenn Sie die Zeit übrig haben.«
» Das hat er gesagt?«
»Ja. Scheint ganz ein Netter zu sein.« Frau Fuchs
reichte ihm die Visitenkarte Bredemaiers mit dessen Mobilnummer.
»Aha …« »Ganz nett« war ein Attribut, das Schwemmer
spontan eher nicht mit BKA -Leuten
in Verbindung brachte, und in der Tat war so viel Höflichkeit bei diesen
Kollegen eher ungewöhnlich. Normalerweise versuchten die Herrschaften schon
deutlich zu machen, dass sie von einer übergeordneten Instanz gesandt waren.
Schwemmer warf einen Blick auf die Uhr neben seinem
Monitor, es war drei Uhr durch. Er griff nach dem Telefon und rief Bredemaier
an.
»Wie schön, von Ihnen zu hören, Herr Kollege.«
Falls es ironisch gemeint war, klang es nicht durch.
»Ich muss schon sagen, da hat mir Frau Isenwald aber
ein wirklich schönes Hotel empfohlen«, fuhr Bredemaier fort.
»So? Wo sind Sie denn abgestiegen?«
»Im ›Lenas‹. Kennen Sie das?«
Schwemmer zog die Brauen hoch. Er kannte das »Lenas«
und seine Besitzerin – ziemlich gut sogar, seit sie letztes Jahr den Toten aus
der Klamm gezogen hatten. Seines Wissens fingen die Zimmerpreise dort bei
zweihundertvierzig Euro die Nacht an. Pro Person im Doppelzimmer.
» Da bringt das BKA Sie unter?«, fragte er.
»Ach wissen Sie, Herr Schwemmer, manchmal tu ich ein
bisschen was dazu. Soll ja auch Spaß machen, die Arbeit.«
»Tja, wenn man’s sich leisten kann …« Schwemmer schüttelte
ungläubig den Kopf. Fürs Geld arbeitete der Mann also offensichtlich nicht.
»Ich könnte jetzt eine halbe Stunde entbehren, Herr
Bredemaier«, sagte Schwemmer.
»Ach wissen Sie, vielleicht verschieben wir das. Ich
sitz gerade im Taxi und schau mir Ihre entzückende Heimatstadt an. Wie wär es
denn, wenn ich Sie heute Abend zum Essen einlade. Damit man sich mal
kennenlernt.«
Schwemmer überlegte, wohin jemand ihn einladen würde,
der aus eigener Tasche dienstliche Übernachtungen im »Lenas« bezahlte. Im »Spago«
war ich lang nicht mehr, dachte er. Aber er wusste, dass ihm heute Abend zu
einem dienstlichen Essen die nötige Kondition fehlen würde.
»Das geht leider nicht«, sagte er bedauernd. »Meine
Gattin kocht.«
»Wie wär’s denn dann damit?«, erwiderte Bredemaier gut
gelaunt. »Sie halten Ihre werte Frau Gattin vom Kochen ab und bringen sie
stattdessen einfach mit.«
Schwemmer war konsterniert. Für seinen Geschmack ging
das zu weit. Immerhin ging es um ein dienstliches Kennenlernen.
»Herr Bredemaier, seien Sie mir bitte nicht gram, aber
ich bin auch gesundheitlich nicht so ganz auf der Höhe. Ich würde vorschlagen,
wir treffen uns morgen früh um zehn hier in meinem Büro.«
»Wie Sie meinen«, sagte Bredemaier freundlich, aber er
klang tatsächlich ein bisschen enttäuscht.
Schwemmer legte auf und rieb sich ausgiebig den
Nacken. Er rief bei Frau Fuchs an und fragte nach Kopfschmerztabletten, erhielt
aber die Antwort, er habe die vom Beipackzettel empfohlene tägliche
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