Die Seherin von Garmisch
er
Chancen als Fernsehansager oder Stadionsprecher gehabt.
»Das mit den vier Augen häuft sich irgendwie«, sagte
Schwemmer zu Schafmann, der darauf mit einem schiefen Lächeln antwortete.
Schwemmer nickte Bredemaier zu. »Später«, sagte er
dann. »Ich muss mich zuerst von Herrn Schafmann hier auf den neuesten Stand
bringen lassen. Dann können wir reden.«
Bredemaier grinste. »Kann sein, ich bin der
neueste Stand«, sagte er.
Schwemmer schloss für eine Sekunde die Augen und
versuchte das Pochen in seiner Schläfe zu ignorieren. Dann ging er zu
Bredemaier, der sich nicht von der Fensterbank weggerührt hatte. Von hier, aus
ein paar Schritten Entfernung, konnte er das Gesicht seines Gegenübers genauer
erkennen. Bredemaier hatte fleischige Lippen, wässrig blaue Augen und eine
Menge Aknenarben. Schwemmer schätzte ihn auf Mitte vierzig.
»Kollege Bredemaier«, sagte er ruhig, »was hier in
meinem Laden der neueste Stand ist, entscheide ich, und zwar ganz alleine. Und
falls Sie tatsächlich der neueste Stand sein sollten, werde ich Ihnen
das mitteilen – zu gegebener Zeit. Und jetzt wär ich Ihnen dankbar, wenn Sie
uns für den Moment allein lassen könnten.«
Bredemaiers Nicken signalisierte eine Mischung aus
Nachsicht und Fatalismus. Er stand ohne ein weiteres Wort auf und ging hinaus.
»Was will der denn?«, fragte Schwemmer.
»Sagt er mir nicht«, antwortete Schafmann. »Kam vor
‘ner Stunde etwa, kurz bevor wir telefoniert haben. Für meinen Eindruck war
Frau Isenwald eine Spur zu überrascht, als er hier auftauchte.«
»Wo steckt die eigentlich?«
»Bei Dräger … dienstlich«, setzte Schafmann eilig
hinzu, als er Schwemmers Blick bemerkte. »Die sind am Tatort.«
»Was habt ihr alles gefunden?«
Schafmann klappte seinen Spiralblock auf.
»Die Leiche, das Fahrrad, das tote Reh, die Splitter
deiner Seitenscheibe, deine Waffe immer noch nicht, dafür den wahrscheinlichen
Tatort.« Schafmann stand auf und ging zu der großen Karte des Werdenfelser
Landes, die an der Wand seines Büros hing. Schwemmer stellte sich neben ihn.
»Ungefähr da«, sagte Schafmann und tippte mit seinem
Kugelschreiber auf eine Stelle neben dem Weg, auf halber Höhe über den
Reschbergwiesen. »Die Hunde haben angeschlagen, und Dräger hat ein paar Tropfen
Blut gefunden. Für Dräger ist das sowieso ein gefundenes Fressen. Da kann er
sich austoben.«
»Wie sieht es da aus?«
Schafmann zog eine Mappe heran, die auf seinem
Schreibtisch lag, und nahm einen beeindruckenden Stapel an Fotoausdrucken
heraus. Er blätterte ihn durch und reichte Schwemmer ein gutes halbes Dutzend
davon.
Schwemmer sah sie an und runzelte die Stirn. Der Platz
sah genauso aus wie der Platz, den Johanna Kindel ihm gezeigt hatte. Nur
spiegelverkehrt. Der Berg war auf der falschen Seite. Vom Tal aus gesehen
links, nicht rechts. Aber die Holzstapel standen fast genauso. Er hätte keinen
Unterschied benennen können.
Schafmann streckte die Hand aus, und Schwemmer reichte
ihm die Fotos kommentarlos zurück.
»Und?« Schafmann sah ihn fragend an, aber als er keine
Antwort erhielt, steckte er die Bilder wieder in die Mappe zu den anderen.
»Was wir bisher nicht gefunden haben, sind
Patronenhülsen«, sagte er.
Schwemmer war es egal. Das war Drägers Baustelle, und
er wusste sie in guten Händen. Auf jeden Fall hatten sie die drei Kugeln im Körper
des Jungen. Und das war erheblich mehr als nichts.
»Wart ihr schon bei den Eltern?«
»Da war keiner zu Hause. Wir probieren es natürlich
weiter.«
Schwemmer tastete den Verband über der Wunde ab. Das
Pochen hatte etwas nachgelassen, seit er Frau Fuchsens Kopfschmerztabletten mit
Kaffee hinuntergespült hatte, wovon sie ihm ausdrücklich abgeraten hatte, dafür
fühlte sich sein Kopf nun an wie aufgepumpt.
»Bin ich rot im Gesicht?«, fragte er Schafmann.
»Nein. Du bist so blass, dass ich Angst hab, du fällst
mir um. Setz dich mal hin.«
Schwemmer gehorchte und setzte sich auf einen der
Besucherstühle. Dann zog er umständlich seinen Spiralblock aus der
Jackentasche. Er klappte ihn auf, riss das letzte beschriebene Blatt raus und
reichte es Schafmann.
»Schieb, Siegfried«, las Schafmann vor. »Schober,
Georg; Kindel, Severin.«
»Das ist die Band. Rattenkommando oder wie die heißen.
Die beiden ersten als Zeugen vorladen«, sagte Schwemmer.
»Und Kindel, Severin? Ist das …?«
»Genau«, sagte Schwemmer. »Der Enkel. Da fahr ich
selber hin.«
»Okay …« Schafmann machte sich eine
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