Die Seherin von Knossos
erst den Dolch an seinem Arm, dann den an seiner Wade und schließlich den dritten in einer Scheide um seinen Bauch berührte. Er hatte einen Dekan lang Zeit zum Suchen. Danach wäre er zu schwach, um wieder aufzutauchen, oder der Säuglingstod, so wurde die Krankheit genannt, würde ihn holen. Deren Opfer starben in der Haltung eines ungeborenen Kindes, leise wimmernd und hilflos wie ein Neugeborenes. Damit würde er ganz bestimmt keinen Eindruck bei Vena schinden.
Dion rief ihm etwas zu, dann tauchte er ab, und einen Herzschlag später verschwanden auch seine Füße unter der Wasseroberfläche.
Nestor schluckte und rief Kela um Schutz an. Nachdem er mehrmals tief durchgeatmet hatte, tauchte er. Verwundert sah er sich um.
Fischschulen umschwammen ihn und machten wie auf ein unhörbares Kommando hin kehrt. Er tauchte tiefer. Druck bildete sich in seinen Ohren, und seine Brust begann zu schmerzen. Schließlich hatten sich seine Augen an das matte Licht gewöhnt, und er schwamm in Richtung der riesigen, im Wasser schwebenden Muschel. Die Gewichte verfingen sich in dem Beutel um seinen Bauch, und er brachte kostbare Augenblicke damit zu, wieder freizukommen, ehe er hastig höher stieg.
Luft! Nestor atmete tief in der Dunkelheit durch und sog dabei den leicht modrigen Geruch der getöpferten Muschel und den tangigen Geschmack des Meeres ein. Nachdem er sein Gesicht abgerieben hatte, bereitete er sich darauf vor, wieder abzutauchen.
Er tauchte unter dem Muschelrand heraus, den Beutel dicht an seine Seite gepresst. Mit vorsichtigen Bewegungen, immer auf der Hut vor einer herausragenden Koralle, die ihn aufschürfen könnte, und aufmerksam nach jenen Wesen der Tiefe Ausschau haltend, die ihm gefährlich werden könnten, schwamm er auf die Höhlen zu. Wenn er sich recht erinnerte, mussten sie sich rechts von ihm befinden.
Dion schwamm irgendwo in der Ferne, eine bleiche, lang-gliedrige Silhouette unter den ihn umschwimmenden Fischen. Hatte er diese sagenhaften Krabben gefunden?
In der Nähe der Höhlen war das Wasser dunkler, weshalb Nestor den Spiegel so ausrichtete, dass er das Sonnenlicht einfing, das durch das Wasser drang. Fische ergriffen die Flucht, als Nestor sich weiter vorwagte. Dann spürte er einen Sog an seinen Beinen und sah sich vorsichtig um.
Eine Höhle! Nachdem er hastig zur Muschel zurückgeschwommen war, wo er tief Luft holte, kehrte er mit ausgreifenden Bewegungen zur Höhle zurück. Vorsichtig ließ er sich auf den Mund der Höhle zutreiben. Dort war es stockdunkel, und er musste mehrmals blinzeln, ehe er die leuchtende Pracht der Pflanzen wahrnahm. In völliger Dunkelheit blühte es in einem so strahlenden Orange, Rosa, Grün und Gelb, dass er spürte, wie sich seine Pupillen zusammenzogen. Die Pflanzen bewegten sich wie Geister in der unsichtbaren Strömung.
Doch kein Lila.
Er kehrte zur Muschel zurück und atmete ein paarmal flach ein und aus, um Luft zu sparen. Neuerliches Abtauchen, und er war wieder im Meer. Nicht in dieser Höhle, dachte er und drehte langsam den Kopf, um nach der lila glühenden zehnbeinigen Krabbe Ausschau zu halten. In ihrem Leib bildete die Krabbe einen Stoff, der es ihr ermöglichte, sich ständig zu erneuern. Die zehnbeinige Krabbe konnte jeden Körperteil nachwachsen lassen. Das gab es sonst nirgendwo - ein Wesen, dem ewige Jugend und ewiges Leben beschert waren.
Auch hier war die Krabbe nicht. Noch eine Höhle, aber erst brauchte er Luft. Er schwamm rückwärts aus der Höhle und spürte einen leichten Schlag im Nacken.
So schnell wie möglich wirbelte er herum und sah eben noch eine riesige Gestalt von ihm wegschwimmen. Ein flaches, graues Ding mit einem Schwanz wie eine Peitsche, das zu beiden Seiten das Wasser wegschlug. Nestor schwamm weiter und überlegte zugleich, wie viel von einem Dekan bereits verstrichen war.
Drei Höhlen später hatte er sie gefunden. Das Leuchten der
Krabben erhellte die ganze Höhle, es brach sich in den Flanken der Fische, strahlte blendend zwischen den glühenden Korallen hervor, dem Tang und Plankton. Die Krabben waren am wirksamsten, wenn sie noch lebendig waren. Er stopfte drei davon in seine Tasche und schwamm zur Tauchmuschel zurück. Erschöpft schnappte er mehrmals nach Luft. Die Luft war dünn, und Nestors Kopf begann zu stechen.
Was war der nächste Schritt? Die Gewichte, die Gewichte lösen, ermahnte er sich, tauchte wieder unter und fummelte an den Drähten der Gewichte herum. Er spürte sie kaum, so krib-belten
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