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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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recht. In Aztlan zählen nicht die Blutsverbindungen, es zählt die Geburtsreihenfolge.«
    »Ach ja?«, versuchte Cheftu ihn aus der Reserve zu locken.
    »Der oder die Erstgeborene ergibt die Position seiner oder ihrer Eltern in der Sippe. Die Zweitgeborenen kommen in die Verteidigungs-Sippen: zum Bergbau, zu den Seesoldaten oder den Konstrukteuren. Dann gibt es noch die, die uns mit Waffen und Rüstungen beliefern. Das sind die Sippen des Steines, der Welle oder der Flamme.«
    »Gut.«
    »Die Drittgeborenen werden zu einem Kult gegeben. Wir haben den Kult des Stieres, Apis. Oder den Kult der Schlange mit Kela, der Erdgöttin. Sie ist die Beschützerin der Frauen.«
    »Sie wurde auch geehrt, als ...«
    »Genau.« Y’carus grinste. »Du hast ihr in Knossos gehuldigt.«
    Ehebruch und Götzendienst, dachte Cheftu. Er würde sehr lang im Fegefeuer ausharren müssen.
    »Innerhalb der Priesterschaft gibt es die unterschiedlichsten Bereiche. Die Priester Apis’ sind die Baumeister. Sie machen Steine und pflastern die Wege. Die Priesterinnen Kelas sind die Fischerinnen, die Muschelsucherinnen. Es ist sogar gegen das Gesetz, ohne Erlaubnis des Kultes zu fischen.«
    »Wieso das?«
    »Weil man ihnen damit die Arbeit nimmt.« Er grinste. »Wir finden Erfüllung in unserer Arbeit. Unsere Sippe bedeutet uns alles: Sie ist unsere Familie, unsere Beschäftigung, unsere Identität.«
    »Deine Geliebte war ...?«
    »Meine Sippenschwester. Ich wurde als Zweiter geboren und bin dazu bestimmt, uns auf See zu verteidigen. Meine Blutseltern waren Färber aus der Sippe der Muse.«
    Er schluckte. »Neotne kam mit fünf Jahren als Pflegekind in meine Familie. Ich wurde damals zehn, es war der Sommer, bevor ich in Pflege ging. Schon damals war mir klar, sowie ich sie gesehen hatte ...« Sie standen schweigend da und ließen sich die salzige Brise ins Gesicht wehen. »Nun gut.« Y’carus’ Stimme war belegt. »Die Viertgeborenen gehen auf das Land. Oliven, Obst, Gemüse, Wein, sie halten das Imperium grün.«
    »Das wäre dann welche Sippe ...?«
    »Die Sippe des Rebstocks. Alles was wächst wird von ihnen gepflegt. Die Sippe des Horns züchtet Tiere, sowohl als Nahrung wie auch als Nutztiere. Die Fünftgeborenen sind unsere Handwerker. Wir sind - waren - sehr stolz auf unsere künstlerischen Leistungen: Textilien, Keramik, Malerei. Sie sind in der Sippe der Muse.«
    »Arachne war die Hauptstadt? Die Stadt, die zerstört worden ist?«
    »Genau. Arachne. Ich bin dort aufgewachsen; es war meine Heimat.«
    »Was ist mit der Skolomantie?«
    »Ai. Die ist für die Klügsten unter uns, ganz gleich, an welcher Stelle sie geboren wurden. Dort werden die Kinder mit dem schärfsten Verstand von ihren Eltern in Pflege gegeben. Sie lernen alles - Medizin, Kunst, Wissenschaft, Architektur, Mathematik, Astronomie, Astrologie. Sie führen uns. Wirst du in die Skolomantie gehen?«
    »Ich weiß es nicht.« Doch wenn dort die medizinischen Künste gelehrt wurden, war dort wohl auch Cheftus Platz. »Meine Dankbarkeit für deine hilfreichen Worte«, sagte er leicht unsi-cher. »Wo ist der Platz für einen Magus?«
    »Auf Aztlan?« Y’carus zog die Achseln hoch.
    »Die medizinischen Künste werden von unseren Kela-Tenata-Priesterinnen ausgeübt.«
    Frauen in der Medizin? In Ägypten durften Frauen höchstens in kleinen, armen Orten als Heilerinnen arbeiten. In Frankreich? Cheftu hätte beinahe gelacht. »Dieses Wort ist mir nicht bekannt.«
    »Kela, die Göttin, und Tenata, ihre arbeitende Hand. Jedes Dorf, jede Stadt hat einen eigenen Tempel mit Muschelsucherinnen.«
    »Für die Fische.«
    »Ganz recht, und Kela-Tenata -«
    »Für die medizinische Versorgung.«
    »Du lernst schnell. Und mit Tempeltänzerinnen.«
    Cheftu blinzelte. »Amtlichen ...?«
    »Tempelprostituierten.« Y’carus zog die Stirn in Falten. »Ich vergesse immer wieder, wie zurückhaltend ihr Ägypter seid. Ja, in jedem Dorf gibt es Tempelprostituierte. Da die Sippen so eng miteinander verwoben sind, ist die Ehe bei uns ein geheiligtes Unterfangen. Die Tempeltänzerinnen stillen das fleischliche Verlangen von Männern und Frauen, sodass sie mit der Absicht, für ewig vereint zu werden, vor Kelas Altar treten können.«
    Cheftu dachte an seine eigene Welt zurück, an die vielen Ehen, die nur noch Fassade waren, und die Promiskuität, die ihm immer noch so lebhaft in Erinnerung war. Eine Ehe war wie ein Geschäftsabschluss. Sobald ein Erbe geboren war, stand es beiden Eheleuten frei, sich

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