Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
seine Hände.
    Beim Aufstieg musste er immer wieder warten, damit sein Körper Zeit hatte, sich anzupassen, ansonsten würde ihm das Auftauchen schlecht bekommen. Die Luft wurde zusehends schlechter, darum zwang sich Nestor, langsamer zu atmen. Außer dem schwächer werdenden lilafarbenen Glühen, das im Wasser vor seinen Augen leuchtete, sah er nichts mehr.
    Schließlich durchstieß er die Wasseroberfläche und hörte Jubel. Mit zitternden Armen wuchtete er sich ins Boot. Dion stand in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne und hielt seinen gewebten Beutel voller Krabben über den Kopf.
    »Du hast dich gut gehalten«, meinte Dion und legte ihm eine Decke um. Nestor schüttelte den Kopf. Er hatte überlebt.
    Die Menschen hatten im Wasser nichts verloren; das war unnatürlich. Die Welt unter den Wellen war gespenstisch und atemberaubend, aber er zog die Luft vor.
    Die Männer entkorkten eine Weinamphore und ließen sie kreisen. »Wir geben die Krabben bei Spiralenmeister ab, und heute Abend wird gefeiert«, rief Dion. Die Seesoldaten hissten die Segel, und wenig später umschifften sie die Klippen von Kallistae, um in die Lagune von Aztlan zurückzukehren.
    Sie kam zu spät, das spürte Chloe in den Knochen. Hatten die Menschen auf Naxos ihre Nachricht beherzigt? Es hatte sie entsetzt, wie viel Zeit es gekostet hatte, von Knossos wegzukommen. Offenbar konnte hier niemand, nicht einmal ein Sippenoberhaupt, sich abseilen, wenn ihm danach war.
    Ihren Warnungen vor einer Katastrophe, allen bösen Omen, dem ganzen Trara zum Trotz hatten die Kaphtori wie Kletten an ihr, ihrem Schiff und ihren Männern gehangen. Sie wollten das Orakel nicht ziehen lassen, sie wollten ihren Segen für die nächste Ernte. Wir kommen zu spät, dachte Chloe. Bitte mach, dass wir nicht zu spät kommen! In der vergangenen Nacht waren sie durch das Tor nach Aztlan gesegelt, wobei das mit Hörnern bestickte Segel des Schiffes so effektiv wirkte wie ein Diplomatenpass in Saudi-Arabien. An diesem Morgen lag schwerer Nebel auf dem Wasser, und Chloe fragte sich, auch wenn sie die Frage nicht auszusprechen wagte, wie sie wohl da durchkommen sollten.
    Stellenweise lag Asche von dem Vulkanausbruch auf dem Wasser. Chloes Haut prickelte, wenn sie sich ausmalte, wie ein Vulkanausbruch wohl war. Nur die wenigsten ihrer Sippenangehörigen waren gewillt, mit ihr zu sprechen, darum behielt sie ihre Fragen für sich. Die Seeleute waren verdächtig höflich, doch alle sahen sie an, als wäre sie wahnsinnig geworden.
    Teilt ihr erst mal euren Körper mit einer Orakelpriesterin, die ihren eigenen Worten nicht glaubt, dann werdet ihr schon sehen, wie man sich da fühlt!
    Es war kalt an diesem Morgen, und ihre düstere Vorahnung verstärkte sich mit jedem Henti, den sie sich vorkämpften. Aus dem Nebel heraus näherten sich seitlich zwei Schiffe. Dank Sibyllas Wissen, das Chloe heimlich angezapft hatte, erkannte sie den Dreizack auf den Segeln wieder und atmete erleichtert aus.
    Doch zugleich überlief sie ein Schauder; Zelos Olympi war ebenfalls unterwegs nach Naxos. Ihre Ängste waren also begründet. All die armen Menschen, dachte Chloe. Was war geschehen? Ihre Vision war sofort wieder verblichen, nur ein
    Gefühl von Gefahr war geblieben. Sie winkte dem Schiffskapitän, Zelos’ Schiff den Vortritt zu lassen. Die azurblauen und goldrutengelben Segel füllten sich mit Wind, und Zelos’ Schiff zog vor ihnen vorbei.
    Chloe kaute auf ihrer Lippe und rief sich ihr Wissen über Katastrophenhilfe ins Gedächtnis. Essen, Wasser, Unterkunft, Kleidung. Ihre von Sibylla geklaute Erinnerung verriet ihr, mit welchen von Naxos’ Nachbarinseln sie Verbindung aufnehmen musste. »Bringt mir ein paar Botenvögel und einen Schreiber«, befahl sie. Vielleicht würde Sibylla persönlich nicht rechtzeitig eintreffen, doch dafür Hilfe in Gestalt anderer Sippenangehöriger.
    Cheftu war an Deck und hielt Ausschau nach den Wellenbrecherinseln. Die winzigen Inselchen zogen sich in einem weiten Bogen von einer Seite der Hauptinsel des Imperiums bis zur anderen und bildeten dabei eine natürliche Barriere, das Skelett einer viel größeren Landmasse. An manchen Stellen waren die Inseln nur dunkle Flecken im Wasser, doch immer noch hoch genug, um die Rümpfe ahnungsloser Schiffe aufzureißen. Cheftu sah angestrengt nach vorn. Er hatte schon viele der antiken Weltwunder gesehen; bestimmt war dies das unbekannte achte. Über den Inseln ragte aus dem Meer das Tor nach Aztlan auf, und zwar

Weitere Kostenlose Bücher