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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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ist. Ruhe dich zwischen den Schenkeln einer Tempel tänzerin aus, aber versetze die Sippe nicht in Schrecken.« Er zog die Achseln hoch. »Sibylla hat sich im Zeitpunkt geirrt. Bring mir noch etwas Wein und zünde ein paar Lampen mehr an.«
    Die Luft über dem Hafen von Demeter war still. Männer stolperten nach Hause, vom Wein berauscht; Wasser klatschte gegen die Rümpfe von Hunderten von Schiffen; und gelegentlich mischte sich das Maunzen eines Katers in leises Gelächter, wenn eine Tür geöffnet oder geschlossen wurde.
    Der Mann ging einsam seinen Weg entlang, den Blick aufs Meer gerichtet. Immer noch glühte Delos schwach rot und orange am nördlichen Horizont, und er trauerte um die verlorene Sippe. Ein Hauch von Asche lag nach wie vor wie Puder über dem Hafen, doch in seiner Sippe war man der Ansicht, dies werde die reichste Ernte, die Naxos je gesehen hatte. Hatte sich die Sibylla am Ende geirrt?
    Eine Bogenbrücke spannte sich von Naxos aus zu einer winzigen Insel hinüber. Schiffe, die im Hafen ankern wollten, segelten oft darunter durch. Die Skolomantiker hatten diesen Bogen zur Probe gebaut, um ihren Entwurf vorzustellen, bevor sie auf dem Wellenbrecher einen viel größeren gespannt hatten. Plötzlich blieb der Mann stehen und spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Ganz langsam schaute er über die Schulter zurück.
    Die Stadt war still, zu still. Er hob den Blick zu den Bergen empor. Ohne sein Unbehagen abschütteln zu können, ging er weiter, nun ein bisschen schneller, auf die Stufen zu, über die man zu der kleinen Insel gelangte.
    Unter der Insel, unter dem Saum der Wogen am Strand, unter der dünnen Aschehülle, die das Meer bedeckte, unter den Fischen und Tintenfischen, unter den Wracks versunkener Schiffe, deren von Algen überzogene Schätze am Meeresgrund verstreut lagen, bebte die Erde.
    Sie bebte wieder und bäumte sich dann auf, weil die Mikroplatte der Ägäis gegen ihre afrikanische Schwester gedrückt wurde, sodass die Schwester unter die kleinere Platte glitt und die Erde hob und zum Reißen brachte. Im gesamten Inselimperium blieb nichts mehr wie zuvor.
    Kanäle voller Lavagebräu begannen zu brodeln.
    Magmakammern, die zufrieden tief unter den Bergen geruht hatten, wurden nach oben geschoben und bauten dabei immer mehr Druck auf.
    Der Grundwasserspiegel verschob sich, und der Boden, der auf einer Mischung aus zusammengepresstem Erdreich und Wasser geschwommen hatte, begann zu sinken. An manchen Stellen schnell, an anderen langsam.
    Haarbreite Risse begannen sich zu öffnen und ließen schwefligen Gestank nach oben steigen, ein Warnzeichen für die Tiere, für die Vögel. Die strähnigen, empfindsamen Staubfäden in den Blüten der Tradescantien verfärbten sich von gefahrlosem Blau zu tödlichem Rosa.
    Die Natur hatte ihren Countdown begonnen.
    Das Epizentrum des Bebens lag draußen auf dem Meer, strategisch platziert entlang der unten liegenden Landplatte, zu der auch die Insel Naxos gehörte. Ein seismischer Kiesel wurde fallen gelassen, und Naxos befand sich genau im Weg der dabei entstehenden Welle. Kein trinkendes, speisendes, lachendes Menschengeschöpf spürte den Ruck, der durch die Insel ging.
    Der Mann aus der Sippe des Rebstocks sprang überrascht auf, als die Katzen von Demeter zu miauen begannen, als die Maultiere ausschlugen und die Ratten zu Tausenden und Abertausenden auf das Wasser zuhuschten.

Bevor der Mann begriff, wie ihm geschah, lief die erste Schockwelle durch Naxos.
    Wände schwankten, Dächer brachen ein. Die Töpferwaren klirrten auf den Regalen und fielen hinunter, Teller, noch glatt von Olivenöl und mit Essensresten verschmiert, rutschten vom Tisch und zerplatzten auf dem Boden.
    Lampen, Hunderte und Tausende von Öllampen kamen ins Schwanken, kippten um oder fielen zu Boden.
    Der Schreck dauerte nur ein paar Herzschläge lang an, gerade so lang, dass die Menschen Zeit hatten, die Hand nach ihren Angehörigen auszustrecken und in Deckung zu gehen.
    Die zweite Welle brach ihnen das Genick.
    Naxos kam ins Kreiseln und rüttelte dabei an den Mauern, bis die in sich zusammenstürzten oder unter dem Druck zerbarsten. Der Erdboden erwachte zum Leben und bäumte sich unter jenen auf, die vergebens zu fliehen versuchten. Dächer brachen ein, die Dinge schienen von Skias besessen zu sein, so flogen sie durch die Luft, fällten sie die Menschen, zerstörten sie noch mitten im Flug.
    Jene Sippenangehörigen, die klugerweise unter einem Türsturz Zuflucht

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