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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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nachts verließ und auf dem er seine Tage damit zubrachte, die Sippe von dieser klammen Kammer aus zu regieren.
    Nekros besaß nur wenig und nur das Allernötigste.
    Zelos nahm an, dass sein Bruder noch weniger weibliche Gesellschaft als Besitztümer hatte. Welche Frau wollte schon die kalten Hände des Herrn über die Toten auf ihrem Leib spüren?
    Posidios studierte die auf einem abgeflachten Stalagmiten ausgelegte Karte, deren eingeschnittene Markierungen im Fak-kellicht nur mit Mühe zu erkennen waren.
    »Was ist von Naxos noch übrig?«, fragte Zelos.
    Nekros lehnte sich zurück gegen einen zweiten Stalagmiten. »Nicht viel. Meine Leute suchen die Toten zusammen, um sie herzubringen und sie mit all den anderen Generationen auf Paros zu bestatten. Bislang haben wir noch von keinem einzigen Überlebenden gehört.«
    Zelos schloss gequält die Augen. »Und Bacchi?«
    »Das Oberhaupt der Sippe ist tot. Man hat seine Leiche bereits gefunden.«
    Zelos schnippte nach einem Leibeigenen und befahl, eine Nachricht nach Aztlan zu fliegen. Dion, der Erbe der Sippe, war damit neues Sippenoberhaupt. »Lässt sich schon ermessen, welche Folgen dieses Inferno für die Ernte hat?«
    »So wie es aussieht, gibt es keine Ernte. Es gibt keine Menschen.«
    »Bei Apis’ Steinen, Bruder, auf dieser Insel haben dreiund-zwanzigtausend Menschen gelebt! Willst du mir erklären, dass davon nicht einer überlebt hat?«
    Nekros zuckte mit den Achseln. »Es sind natürlich vorläufige Berichte. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
    Zelos fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Das war die schlimmste vorstellbare Katastrophe. Zwei Sippen, die innerhalb weniger Wochen aus dem Imperium getilgt worden waren. Bitte lass das kein Omen sein, dachte er.
    Schritte hallten aus dem Bogengang. Wie ein Mann drehten sich beide Brüder um und starrten auf die Frau, die sich dort zeigte.
    »Ich habe mir schon gedacht, dass ich dein Schiff gesehen habe« sagte Zelos.
    »Ich habe Bacchi eine Warnung gesandt«, sagte sie. »Er hat es vorgezogen, sie nicht zu beachten.«
    »Vielleicht hat er sie zu spät erhalten«, schränkte Posidios ein, während er sich zu der Frau umdrehte. »Sei mir gegrüßt, Tochter.«
    Sibylla blieb stehen, und ihre grünen Augen weiteten sich kurz. »Sei mir gegrüßt, äh, Posidios«, antwortete sie dann hastig. »Bacchi hat mir keine Beachtung geschenkt.«
    »Willkommen auf Paros, Nichte«, meinte Nekros. »Dein Besuch an einem so schwarzen Tag ehrt uns.«
    Sie schnippte mit den Fingern, und ein Schreiber kam angelaufen, der jedem der drei Männer eine Lehmtafel reichte. »Ersten Berichten zufolge ist der größte Teil der Insel von Bränden verwüstet, die im Nordosten nach wie vor wüten, oder liegt unter Lawinen von Schlamm begraben, die aus dem Stausee über die Hänge des Berges Zelos ins Tal stürzten und dabei Hunderte von Häusern, Früchten und vor allem Menschen mit sich gerissen haben.«
    Die drei Männer tauschten einen Blick untereinander aus.
    »Woher hast du diese Berichte?«, fragte Posidios.
    Sie trat näher, und Zelos stellte wohlwollend fest, dass sich seine Nichte Sibylla zu einer begehrenswerten Frau entwickelt hatte. Doch ihr Blick war ohne jede Wärme, und sie wirkte unter ihrer Maske von Klugheit gepeinigt.
    »Als mir klar wurde, dass das Oberhaupt meine Bitte nicht beachtet hatte, habe ich mich an Atenis gewandt, die der Insel am nächsten wohnt.«
    Nekros legte seine Tafel auf dem Stalagmiten ab, der ihnen als Tisch diente. »Das ist eine umfassende Darstellung. Es bereitet mir großen Kummer, dass Bacchi deinem Wort keine Beachtung geschenkt hat«, erklärte er schwer.
    »Ganz gleich, was Bacchi getan oder nicht getan hat, Menschen sind dort gefangen, ohne Obdach, hungernd und halb verdurstet. Wir müssen zu ihnen gelangen.«
    »Die Insel ist tot«, sagte Zelos.
    »Das ist sie nicht.«
    Posidios und Nekros sahen Sibylla an, als hätte sie den Verstand verloren. Zelos, Hreesos zu widersprechen? »Du bist das Oberhaupt der Sippe und Herrscher über das Imperium«, sagte sie zu Zelos. »Dir ist gewiss bewusst, dass der wichtigste Besitz dieser Sippe ihr Wissen war. Auch wenn die Weingärten vernichtet und die Felder verwüstet sind, so können wir mit der Erfahrung, die diese Menschen besitzen, einiges von dem zurückgewinnen, was wir verloren haben. Und zwar schnell.« Sibylla stand Zelos beinahe Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ihre Stimme wurde schneidend. »Doch wenn diese Menschen sterben, dann werden ihre

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