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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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nichts als Zerstörung. Ein leises Stöhnen drang an ihr Ohr und sie sah hilflos zu, wie ein Mann über die Ruinen taumelte, einen Flammenschweif hinter sich herziehend wie höllisches Kielwasser.
    Er stürzte, und Chloe roch verschmorendes Fleisch.
    Sie arbeitete sich zu den Stufen vor und fand sich auf einer Art abgebrochenem Balkon wieder. Die Leichen lagen hier wie ausgerichtet - Kompassnadeln gleich, als wollten sie anzeigen, aus welcher Richtung die Wolke gekommen war. Ein Körper bewegte sich, deshalb trat Chloe näher an ihn heran. Vor ihren Augen blähte sich der Brustkorb auf, als würde er mit Luft aufgepumpt. Dann platzte die Bauchdecke und Chloe sah die verschlungenen Eingeweide ans Tageslicht quellen, ehe sie würgend davonlief.
    Magensäure brannte in ihrer Kehle und verätzte ihren wunden Schlund. Herr im Himmel, war sie die einzige Überlebende?
    Das Gebäude war von hier bis zum Meer platt gewalzt worden. Die Skolomantie war zum Mausoleum geworden, die botanischen Gärten sahen aus wie gekochter Spinat. Chloe drehte sich mutlos um und quietschte auf.
    Vor ihr erhob sich festgemauert, jungfräulich rein und hell unter der fallenden Asche leuchtend der Wohnflügel des Palastes! In strahlender Postkartenschönheit stand er da, von der Skolomantie abgetrennt, als hätte ihn jemand mit dem Messer abgeschnitten. Sie lief los, ständig strauchelnd, doch ohne hinzufallen. Die Schürze löste sich von ihrem Gesicht und die Asche blendete sie, doch die Hoffnung verlieh ihr neue Kraft. Sie spürte samtenes Gras unter ihren Füßen und sank zu Boden.
    Um sie herum schrien Stimmen durcheinander. In ihrem Kopf drehte sich alles, bis sie schließlich eine davon erkannte.
    »Wo ist Cheftu?«
    Sie schlug die Augen auf. Dion kniete, vollkommen unversehrt bis auf das Grau in seinem Haar, an ihrer Seite, während hinter ihm Atenis wartete. Chloe schluckte mühsam. Atenis gab ihr einen Schluck Wasser, worüber Chloe beinahe in Tränen ausbrach. Es schmeckte unglaublich gut, auch wenn es brannte. »Verletzt«, brachte sie heraus. »Schwer.«
    Dion hob sie auf und trug sie in den Palast.
    »Wo ist er, Sibylla?«
    Sie hätte beinahe aufgeschrien, als sie seine Hand auf ihren Verbrennungen spürte, deshalb drückte sich Chloe von ihm ab, bis er sie aus seinen Armen ließ und sie sich an der Wand abstützte. »Komm mit«, flüsterte sie hustend.
    »Nein, ich gehe allein«, widersprach Dion.
    »Du brauchst einen Führer«, rasselte sie.
    »Da draußen herrscht das Chaos«, mischte sich Atenis ein.
    »Sie kann dir zeigen, wo er ist.«
    »Hol ihr einen Tragsessel.«
    »Sie kann nicht sitzen, Dion.« Zaghaft nahm Atenis Chloes Hand. Der dunkelhäutige Aztlantu ging einmal um sie herum und Chloe hörte ihn leise durch die Zähne pfeifen, als er an ihrem Rücken angekommen war. »Bei den Göttern - geh voran«, kapitulierte Dion, wobei er zärtlich über Chloes Wange strich.
    So stapften sie erneut durch die herabschneiende Asche, die inzwischen alles wie mit zweitausend Jahre altem Staub überzogen hatte. Irgendwie gelang es Chloe, sie zu dem Raum zu führen, in dem Cheftu lag. Dion drängte an ihr vorbei, lief los und kniete neben Cheftu nieder. Er erteilte eine Reihe knapper Befehle, und wenig später wurde Cheftu hoch gehoben und immer noch mit dem Gesicht nach unten auf eine Bahre gelegt. Dion ging neben der Bahre her und Chloe fragte sich, ob er wohl weinte. Sie erreichten den unversehrten Abschnitt des Palastes, wo sich, wie Chloe feststellte, immer mehr Menschen einfanden.
    Menschen. Auch wenn sie kaum wie Menschen aussahen. Mit verbrannten Gesichtern und Leibern, von herabfallenden Trümmern getroffen, Blut hustend. Wer noch laufen konnte, holte oder suchte Wasser, Öl und die wenigen Kräuter, die ihnen geblieben waren.
    Von den 55.000 Bewohnern Kallistaes hatten nur wenige Hundert überlebt. Verdampft, dachte Chloe. In so extremer Hitze, dass sich Fleisch und Knochen von Mensch und Tier augenblicklich in Gas, Luft, Nebel aufgelöst hatten. In Dampf. Die im Norden abfließende Lava hatte die Städte Hiacynth und Daphne unter sich begraben, im Süden war sie über Echo hinweggerollt.
    Tatsächlich war kaum nachzuvollziehen, wie die pyroplasti-sche Wolke von der Küste Kallistaes abgeprallt und auf der aztlantischen Küste gelandet war. Sie hatten geglaubt, ihnen könne nichts passieren, da sie sich auf einer anderen Insel befanden; die Lava hatte sie nicht erreicht. Sie hatten nicht mit der dämonischen Fähigkeit der

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