Die Seherin von Knossos
hinausströmte. Er spürte jeden Muskel in seinem Leib, die zuckenden Steine schienen ihn nach unten zu ziehen. Am gegenüberliegenden Ufer kletterten Cheftu und Chloe an Land. Alles hier war mit Asche bedeckt und auf den Felsen lagen kleine, rot und schwarz köchelnde Lavapfützen. Es war eine kurze Rast; sie waren noch nicht weit genug entfernt.
Der Bogen. Diese Insel. Cheftu zog sie an seine Brust, wo er die festen Rundungen ihres Leibes ebenso spürte wie das Zittern in Beinen und Armen nach den Anstrengungen des Schwimmens. Als sie sich fester an ihn schmiegte, fühlte er Brandnarben auf ihrem Rücken.
»Iii, ich will dich auch«, flüsterte sie gegen seine Haut, küsste dann seine Brust und ließ dadurch das Blut heißer durch seine Adern schießen.
»Habe ich es laut gesagt?«
Sie lächelte zu ihm auf, mit grünen Augen hinter Seetanglok-ken aus schwarzem Haar. »Nicht mit Worten.« Ihre Hand schloss sich um ihn und Cheftu stieß erst die Luft aus, um dann loszulachen.
»Wir brauchen ein Boot«, sagte er.
Denk nicht daran, wie warm ihr Körper, wie weich ihre Haut ist. Sie murmelte zustimmend und küsste dabei seine Hände. Dann erstarrte sie, setzte sich auf und sah ihn mit großen Augen an.
»Dein Gesicht!«
Seine Hände zuckten an sein verletztes Auge; nein, es musste das andere sein. Er berührte beide Brauen. Nanu, war es doch das Erste gewesen? Und nur eine Narbe war zurückgeblieben?
Chloe zog sich von ihm zurück und sah ihn mit großen Augen an. »Deine Verletzungen heilen. Und zwar verdammt schnell.« Ganz langsam kamen die Worte aus ihrem Mund. »Selbst deine Haare sind nachgewachsen.« Er betastete die Kopfseite, die ein Flickenteppich aus blasiger Haut bedeckt hatte. Oder etwa nicht?
Cheftu schubste Chloe beiseite und hob seinen Schurz an.
»Was zum ...?«, fuhr sie ihn auf Englisch an.
Sein Glied beiseite schiebend, fuhr er mit den Fingern durch das nasse Schamhaar. Der Bubo war weg! Er tastete auf der anderen Seite nach. Da war auch keiner mehr! Er schaute erneut nach.
»Was zum Teufel tust du da?«, fragte Chloe.
»Ich schaue«, murmelte er. Keine empfindlichen oder angeschwollenen Stellen mehr, keinerlei Auffälligkeiten!
»Das kann ich sehen. Und was hoffst du zu finden?«
Er sah auf. Sie hockte auf ihren Fersen, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihn halb empört und halb belustigt an.
Cheftu zog seinen nassen Schurz wieder nach unten.
»Nichts.«
Der Strand begann zu wackeln. Ausnahmsweise war Cheftu einmal dankbar für ein Erdbeben. »Such alles Holz zusammen, das du finden kannst. Und Seile«, rief er ihr zu, an das eine Ende des Strandes deutend, während er ans andere lief.
Asche begann zu fallen; sie waren wohl zu nahe gewesen, um den Ausbruch zu hören. Den Nächsten. Sie konnten im wahrsten Sinne des Wortes zusehen, wie Aztlan versank. Cheftu spähte suchend den Strand entlang.
Holz, mon Dieu, wo war Holz?
Es gab hier kein Holz, das stand für Chloe fest. Und bald würde es auch kein Wasser mehr geben. Riesige Schollen aus Bimsstein begannen sich zu bilden, gegeneinander zu stoßen, die Wasserwege zu verstopfen. Erschöpft und halb verhungert sank Chloe nieder.
Das saphirgrüne Wasser war nun grau. Das Bild der riesigen Schollen, die sich in der Lagune ansammelten, glich einem bizarren Verkehrsstau. Wenn wir nur von Scholle zu Scholle springen könnten, dachte sie, könnten wir es bis nach Prostate-vo schaffen.
»Cheftu!«, brüllte sie.
Humpelnd, laufend kam er über den Strand auf sie zu ... noch gesünder als vorhin. »Was ist denn?«
»Tom Sawyer. Ein Floß. Spring drauf.«
Er schaute erst auf sie, dann auf das Wasser, dann wieder auf sie, und dann sah Chloe, wie er ihre Idee, wenn auch nicht die Andeutung, verstand. Sie würde ihm nicht verraten, wie lange sie gebraucht hatte, um darauf zu kommen.
Der Vulkanausbruch hat meine Gehirnzellen abgeschmolzen, dachte sie.
Sie fassten sich an den Händen und machten sich daran, die verstopfte Wasserstraße zu überqueren.
22. KAPITEL
Es war Schwerstarbeit, das Bimssteinfloß ohne jedes Ruder durch ungestümes Wasser zu steuern. Chloes Knie bluteten, und ihre Hände glichen schmerzenden Blasenformationen. Alles in allem fühlte sie sich, als stünde sie inmitten einer grauen Welt in Flammen.
Immer mehr Asche regnete auf sie herab, je länger sie ihr behelfsmäßiges Gefährt vorwärts paddelten und schoben. Das diesige Dämmerlicht verwirrte ihren Orientierungssinn. Der Wind ließ sie
Weitere Kostenlose Bücher