Die Seherin von Knossos
Buchstaben für das hebräische »Ja« flackerten im Licht auf, noch während sich die Steine in der Luft drehten.
»Was soll das?«, fragte Nestor.
»Gib sie zurück!«, rief Dion.
»Werden wir zusammenbleiben?« Cheftu warf sie erneut.
»E-U-R-E-E-N-T-S-C-H-E-I-D-U-N-G.«
Cheftu versuchte, das Blut in seinen Adern zur Ruhe zu zwingen. Es lag an ihm, es war seine Entscheidung. Er konnte mit Chloe zusammenbleiben, wenn er sich dazu entschloss. Das Wichtigste war, dass sie wohlauf war.
»Nestor, Vena und das Kind sollten das Flugsegel nehmen. Sie ist leichter und die beiden könnten, naja, ein neues Volk gründen, falls es nötig werden sollte«, entschied Cheftu.
»Atenis, du kennst dich mit der Taucherglocke aus, du gehst allein. Dion kann schwimmen.«
»Und was ist mit dir?«, fragte Dion.
»Wir können dich nicht zurücklassen«, sagte Atenis.
»Er wird nicht allein sein«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Cheftu hätte am liebsten vor Freude aufgelacht, als Chloe in den Raum trat. Vena hielt sich die Nase zu, Dion schnaubte, während Atenis und Nestor lächelten. Cheftu zog sie in seine Arme, küsste sie und schmeckte dabei das Salzwasser, den Schweiß, das Blut.
»Die Insel versinkt«, sagte sie. »Wir müssen los.«
Sie drehten sich um; Nestor und Vena schnallten sich bereits die Flügel des Segels an. »Bis meine Augen euch wieder erblicken«, rief Nestor. »In Prostatevo!« Sie rannten los zum Rand des Säulengangs und sprangen in die Tiefe. Dion, Atenis, Chloe und Cheftu liefen an den Abgrund und spähten hinab. Nestor und Vena schwebten tief über dem Wasser, aber sie schwebten. Das weiße Rechteck drehte in Richtung Süden ab. Solange kein weiterer Vulkanausbruch kam, standen ihre
Chancen nicht schlecht.
Atenis küsste Chloe auf die Wangen. »Meine Augen werden dich nicht wieder erblicken; ich gehe fort aufs Festland. Leb wohl, Orakel.«
»Ich bin nicht .«
»Du bist nicht Sibylla, aber ein Orakel bist du, mehr als dir bewusst ist«, schnitt sie ihr das Wort ab. Den Beutel mit den zerbrochenen Arikat-Steinen in der Hand, verließ sie den Raum.
Chloe wandte sich an Dion. »Wir wollen dich nicht aufhalten.«
Dion suchte über ihren Kopf hinweg Cheftus Blick. Cheftu straffte sich, denn plötzlich blitzten Bilder aus jener Nacht in seinem Kopf auf. Sein Erschrecken, als Dion ihn geküsst hatte. Dann das Entsetzen, als der dunkle Aztlantu ihm seine Liebe gestand, die, wie Dion behauptet hatte, jede Liebe zwischen einem Mann und einer Frau weit überstieg. Eine Liebe, in der sich packende Leidenschaft, eine seelische Verbindung und geistige Kameradschaft vereinten. Cheftus Abscheu war langsam einem widerwilligen Mitgefühl gewichen. Dion hatte Emotionen und Begierden preisgegeben, bei denen sich Cheftu der Magen umdrehte, doch er verstand das Bedürfnis des Mannes, sie offen zu legen.
Cheftu war aus Dions Kammer in seine eigene geflohen, wo er sich abgeschrubbt hatte, bis seine Haut rot war. Dennoch hatte er sich beschmutzt gefühlt. Ein Mund ist nur ein Mund, behauptete Dion, trotzdem hatte sich Cheftu übergeben. Vielleicht war es so, wenn es nur um das rein körperliche Vergnügen ging. Seeleute griffen mangels anderer Möglichkeit aufeinander zurück, doch die meisten von ihnen würden einer Frau den Vorzug geben. Dion hingegen behauptete, keine Frau könne so vollkommen lieben wie ein Mann.
Dion hatte ihm das Elixier aus Liebe verabreicht, und aus dem Wunsch heraus, mit ihm zusammen zu sein.
Er war am Leben. War das die Wirkung des Elixiers oder war er von selbst gesundet? Cheftu wusste es nicht.
»Ich habe meine Meinung nicht geändert«, erklärte er.
Dions Hand klatschte auf Cheftus Schulter, doch ansonsten stand er fest wie ein Fels. Die Stimme des Mannes klang tief und leise; Chloe gab sich alle Mühe, seine Worte mitzubekommen. Cheftu empfand Mitleid, Abscheu und tiefe Trauer. »Ich gehöre nur dir, Cheftu. Ich würde mein Leben für dich geben. Ich habe dir das Leben gegeben. Du begreifst erst spät, dass Frauen nur für die Fortpflanzung taugen. Wahre Liebe, Leidenschaft und Freundschaft findet man nur unter Kriegern und Gelehrten und Männern gleichen Standes. Ich werde dich wieder heilen, wenn du die Treulosigkeit der Weiber erst begriffen hast. Ich werde auf dich warten, denn auch ich habe das Elixier genommen. Wir sind füreinander bestimmt.«
»Schwirr ab, Cowboy«, knurrte Chloe. »Der Kerl gehört mir.«
Cheftu starrte die Steine an. Das war es! Deshalb waren sie
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