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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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türkisfarbenen Pinselstrich sah Phoebus den grimmigen Blick seiner Stiefmutter Ileana.
    Wie gern würde er eine Klinge in ihren Leib senken.
    »Hat man schon etwas vom Ausgang der Seeschlacht gehört?«, erkundigte sich Phoebus. Niko ließ Eumelos von seinen Schultern gleiten, und der Junge raste davon.
    »Alle schauen von Myknossos aus zu«, sagte er.
    »Wie stehen diesmal die Chancen?«
    »Aztlan wird den Sieg davontragen, so wie immer.«
    Phoebus sparte sich die Frage, woher Niko das wusste. Auch wenn er scheinbar die Welt um ihn herum kaum zur Kenntnis nahm, wusste Niko einfach alles; er war ein nie versiegender Quell an Informationen. »Ich habe nach den Chancen gefragt.«
    »So groß, wie die Chance, dass du Hreesos wirst«, antwortete sein Freund mit einem seltsamen Lächeln.
    Sie schoben sich durch das Gedränge. Frauen in bunten Rök-ken, mit dunklem, lockigem Haar und blitzenden, von Bleiglanz umringten Augen standen Blumensträußen gleich in engen Gruppen beisammen. Männer in kurzen Schurzen oder langen Glockenröcken mischten sich mit Seesoldaten, die Schild oder Köcher trugen. Hreesos’ Leibwächter mit ihrem kurz geschnittenen Haar bewachten die Tür am anderen Ende. In einer Ecke hockte eine Schulklasse von Schreibern. Vor ihnen lagen feuchte Lehmtafeln, über die rasend schnell die Finger huschten; an den Fingerspitzen und -knöcheln waren geprägte Kacheln befestigt, mit denen sie die aztlantischen Texte als Piktogramme von Männern, Muscheln, Waffen und anderen Zeichen in den Lehm drückten.
    Als sie draußen angekommen waren, sah Niko ihn an.
    »Wohin gehen wir?«
    Phoebus lächelte und blinzelte gegen das Sonnenlicht an, das sich in der Pyramide des Tages brach. »Dion hat uns zu seinem neuesten Experiment eingeladen.«
    Niko sah ihn streng an. »Eigentlich sollte ich in der Bibliothek sein und für Spiralenmeister Nachforschungen treiben, Phoebus.«
    »Ich weiß, aber es wird nur einen Nachmittag dauern. Du kannst nötigenfalls die ganze Nacht in der Bibliothek verbringen.« Sie gingen ein kurzes Stück in Richtung der Landbrücke, welche die Insel Aztlan mit der sichelförmigen Außeninsel Kallistae verband. Schroff und abweisend im Winterlicht, mit nackten, braunen Hängen, erhob sich vor ihnen der Gipfel des Apollo. Zwei weitere Brücken, entworfen von den besten Mna-sonen in der Priesterschaft, verbanden Aztlan im Norden und Süden mit Kallistae.
    »Was sollst du denn für Spiralenmeister herausfinden?«, fragte Phoebus, während sie zur Nordbrücke abbogen.
    »Kannst du dich noch an sein Elixier erinnern?«
    »Ach ja, sein Ewiges Projekt.« Phoebus lächelte über den Skolomantiker-Spitznamen für Spiralenmeisters Passion.
    »Sein Ewigkeitsprojekt«, verbesserte Niko. »Nun, er ist überzeugt, dass es eine geheime Zutat geben muss.«
    »Die sich in der Bibliothek finden lässt? Was denn, Staub?«
    Niko sah ihn todernst an. »Nein. Etwas, das unsere Ahnen noch wussten und das wir vergessen haben. Ich bin auf der Suche danach.«
    »Das heißt, du musst jede Rolle, jede Tafel lesen?«
    »Ganz genau. Jede einzelne.«
    Phoebus gab ihm einen Schlag auf den Rücken. »Du bist und bleibst ein Streber, mein Freund.« Er blieb stehen. Vor ihnen erhob sich die Brücke, kunstvoll aus geschmiedetem Metall, Seilen und riesigen Arikat-Steinpfeilern zusammengefügt. Mit zusammengekniffenen Augen drehte sich Phoebus nach links, der Klippe zu, die etwa achthundert Ellen hoch aus der Theros-see aufstieg.
    Was für einen Unfug hatte sich Dion diesmal einfallen las-sen?
    Dann sahen sie es, ein weißes Viereck, das zwischen der Küste von Kallistae und Aztlan in der Luft schwebte. »Bei den Steinen Apis’«, hauchte Niko. Die Männer liefen los, hin zu ein paar Skolomantikern und ihrem Lehrer Daedalus.
    Zwischen Himmel und Erde segelte, in einer Wiege zwischen zwei Flügeln aus Flachs und Knochen liegend, Dion durch die Lüfte. Niko und Phoebus verfolgten, wie ihn die durch den Kanal wehenden Böen immer höher trugen. »Wie kommt er wieder runter?«, fragte Niko. Daedalus lachte und tat so, als hätte er ihn nicht gehört, oder er schenkte Niko einfach keine Beachtung, während der Erbe der Rebstock-Sippe in seinem Flugsegel weiter aufstieg.
    »Was sagen wir nur Sibylla, wenn er sich was tut?«, flüsterte Niko.
    Phoebus erbleichte. Sibylla war zwar ein bezauberndes Wesen und von Kela gesegnet, doch in ihrem Zorn kaum weniger schrecklich als Ileana. Sibylla hatte Dion aus einer Wolfshöhle gerettet, wo

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