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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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gekommen bin; ich kann wieder heim.
    Er war so darin vertieft, den Horizont nach einem Schiff und den Strand nach Holz abzusuchen, dass er das Geräusch anfangs gar nicht bemerkte. Er schrieb es einem Tier oder dem Wasser zu. Ein Laut, ein Schmerzensschrei, löste sich aus dem Rauschen des Meeres und riss ihn aus seiner Versenkung. Niko drehte den Kopf und versuchte auszumachen, woher er gekommen war. Da! Noch ein Schrei!
    Niko rannte den Strand entlang, auf das Schreien zu, das mit jedem Schritt lauter wurde. Um ein Haar wäre er über etwas gestolpert, das er für einen schwarzen Stein hielt. Eine Frau. Sie hatte überall am Leib schwere Verbrennungen: Das lange, angesengte Haar schirmte ihren Körper teilweise ab, während sie sich stöhnend hin und her wälzte. Sie musste Höllenqualen leiden.
    »Herrin?« Niko streckte die Hand nach ihr aus, zuckte aber zurück, als er ihr Gesicht sah. Lavaverbrennungen. Bei den Steinen Apis’, lag sie im Sterben? Ihr eines Auge war fieberglasig, das andere zugebrannt. Niko hoffte, dass seine Skolo-mantie-Ausbildung ausreichen würde. Als er sie in seine Arme nahm, schrie sie auf, sobald ihre blasenüberdeckte Haut seine berührte. Sie schlug heftig um sich, brachte ihn damit aus dem Gleichgewicht und ließ sie beide in der Brandung landen.
    Wasser schwemmte über sie hinweg. Sie rührte sich nicht. Ohne auf ihre Wunden zu achten, drehte Niko sie auf den Bauch und klopfte sie auf die Rückenmitte, bis sie prustend loshustete. Dann schleppte er sie auf die Lichtung.
    Er tröpfelte frisches Wasser in ihren Mund und versuchte, ihre Wunden auszuspülen. Über die Hälfte ihres Körpers war versengt, so als hätte sie kurz auf einem Bett aus glühender Lava gelegen. Ein Arm lag über ihrer Brust, die Hand schützend unter der anderen Achsel verborgen. Trotz aller Mühe gelang es Niko nicht, ihn herauszuziehen. Das Fieber verlieh der Frau solche Kraft, dass sie sich zusammenrollte und dabei die Brandblasen aufriss, die auf ihrer Seite und auf ihrem Bauch hochquollen.
    Nachdem er zahllose graue Dekane damit zugebracht hatte, ihr Fieber niederzukämpfen, begriff Niko, dass er mit dieser verletzten Frau mehr Zeit zugebracht hatte als mit irgendwem sonst in seinem ganzen Leben. Nach dem zu schließen, was von ihrem Gesicht noch übrig war, vermutete er, dass sie jünger war als er. Er versuchte abzuschätzen, wie sie ausgesehen hatte. Sie war Färberin gewesen, ihre Hand war blau. Ob sie früher hübsch gewesen war? Sie würde es nie wieder sein. Er fuhr mit einem Finger die geschwungene Braue nach, dann die gesunde Hälfte ihres Gesichtes hinab, wobei er eine volle Wange mit Grübchen umrundete, und verspürte dabei tiefes Mitleid. Ob es wohl besser gewesen wäre, sie sterben zu lassen?
    Während Nikos fünfter Nacht auf der Insel schoss ihr Fieber nach oben. Er tränkte seinen Schurz in einem eisigen Quell und deckte sie damit zu, doch ihr Fieber trocknete den Stoff schneller, als er ihn wieder anfeuchten konnte. Die Sterne standen am Himmel, als er neben ihr einschlief, nur um von der Hitze ihres Körpers wieder geweckt zu werden.
    Halb wach trug Niko sie an den Bach. Er legte sie ins flache Wasser, wo er sie an den Schultern festhielt, während das Eiswasser über ihren Leib rann. Erst als er schniefte und bibberte, zog er sie wieder heraus, erleichtert, dass sich ihr Körper weniger heiß anfühlte. Er legte sie auf dem mit Steinen gepflasterten Boden ab und übergoss ihren Leib mit eimerweise kaltem Wasser, bis sie ebenfalls bibberte und sich kühl anfühlte.
    Aus Angst, es übertrieben zu haben, wickelte Niko sie in die Leinentücher, die er auf dem Strand gefunden hatte, und hielt sie dann im Arm. Ihr Körper war ihm mittlerweise so vertraut wie sein eigener, und ihn erfüllte ein nie zuvor gekanntes Gefühl. Sie gehörte ihm. Er hatte sie gefunden, wieder zum Leben erweckt, sie gehörte ihm. Dicht an sie geschmiegt, legte er sich nieder.
    »Meister Niko?«
    Träumte er? Niko bewegte sich, spürte aber, wie ihn etwas auf den Boden drückte. Sein Arm war taub. »Meister Niko?«, wiederholte die Stimme. Nikos Kehle fühlte sich an, als hätte er Sand zum Abendessen verspeist, deshalb schluckte er behutsam, ehe er die Augen öffnete.
    Seesoldaten. Sie standen höflich, mit geplätteten grünen
    Schurzen und sauberem, im Wind wehendem Haar im Kreis um ihn herum. Offenbar hatte sein Schiff Vögel ausgesandt, ehe es unterging, daher wussten die Seesoldaten, wo sie suchen mussten. Niko

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