Die Seherin von Knossos
und nach dem bewusstlosen Schiffsjungen sah.
Danach kletterte Cheftu auf die Klippe, von wo aus der Blick über den Strand und die restliche Insel ging, eine freudlose graue Masse. Er sah hinaus aufs Meer. Asche trieb auf den
Wellen und verdeckte das klare Blau des Wassers. Er kannte weder das ägyptische noch das aztlantische Wort für »Vulkan«. Wo hatte der Ausbruch stattgefunden?
Die Vögel, in welche die Aztlantu solches Vertrauen setzten, waren freigelassen worden, sowie das Schiff vom Blitz getroffen worden war. Schon jetzt, versicherten ihm die Seesoldaten, seien Aztlantu unterwegs, um sie zu retten. Eine Gruppe hatte sich ins Inselinnere aufgemacht, um nach frischem Wasser zu suchen. Eine weitere Einheit hatte begonnen, das kleine Boot wieder seeklar zu machen, mit dem sich in der vergangenen Nacht so viele gerettet hatten.
Die Stiere waren verloren. Cheftu verzog das Gesicht, als er daran dachte, wie die Tiere in Todesangst gegen ihr Gewicht angekämpft hatten und schließlich im Schiffsbauch versunken waren. Er hoffte, dass der Rat von Aztlan nicht Ägypten die Schuld an dem Verlust geben würde. Das Schiff, auf dem sie gefahren waren, stammte aus Aztlan, für den Sturm konnte niemand etwas, doch die Reaktion der Aztlantu war unmöglich vorherzusagen.
Cheftu sah einen der Männer unsicher auf die Füße kommen. Einige von ihnen schienen Meerwasser in die Gehörgänge bekommen zu haben; ihr Gleichgewichtssinn war gestört. Ein Seesoldat schien kurz vor dem Zusammenbrechen. Cheftu runzelte die Stirn; vielleicht hatte der Mann bei dem Untergang einen Schlag auf den Kopf abbekommen und dadurch ... was? Die Männer mit dem gestörten Orientierungssinn wiesen weder Wunden noch irgendwelche anderen sichtbaren Verletzungen auf.
Wassermangel, mutmaßte Cheftu, und schaute über den Strand.
Die Sonne war fast vollkommen von Aschewolken verdeckt, und alle Männer hatten Tücher um ihre Nasen und Münder gebunden, durch die sie atmeten. Sein Blick wanderte über die in Reihen gelagerten Kranken. Cheftu schloss die Augen, weil unvermittelt ein Gefühl von Benommenheit über ihn hinwegwogte. Er schluckte angestrengt, denn er wollte auf keinen Fall umkippen. Wassermangel und Erschöpfung. Der Schwindel legte sich wieder, und Cheftu versuchte, sich zu konzentrieren.
Weshalb war er hier? Wenn seine Berechnungen stimmten, war er im Mittleren Königreich gelandet. Wieso?
Er reckte sich. Was sollte er hier, mitten in der Ägäis? In diesem Aztlantischen Imperium, von dem er außer in Ägypten noch nie gehört hatte? Eine untergegangene Kultur. Der Gedanke war ihm irgendwie vertraut, doch er war zu entkräftet, um ihn weiter zu verfolgen. Langsam kletterte er die Felsen hinab, bürstete seinen schmuddeligen Schurz sauber und rückte den Packen auf seinem Rücken gerade.
Hektische Schreie schreckten ihn auf und ließen ihn um den Fuß der Klippe herum auf den offenen Strand rennen, zwei der kranken Seesoldaten kämpften miteinander, die Hände um die Kehle des jeweils anderen gekrallt. Cheftu rief um Hilfe, während er gleichzeitig versuchte, die beiden zu trennen. Der Angegriffene war blau angelaufen und bekam keine Luft mehr, doch er hatte beide Hände mit unheimlicher, vom Fieber getriebener Kraft um die Kehle des anderen geklammert. Beide Männer waren groß und sehnig, sodass Cheftu ihren Griff nicht zu lockern vermochte.
»Helft mir doch!«, rief er, während er nach einer Möglichkeit suchte, die beiden zu trennen. »Ihr Idioten!«, brüllte er auf Ägyptisch. »Wollt ihr euch noch auf dem Totenbett umbringen? Was soll dieser Wahnsinn?« Er hob ein Stück Treibholz auf und zog es beiden über den Kopf.
Die Hände immer noch fest um die Kehle des anderen geschlossen, kippten die Männer bewusstlos zu Boden. Die anderen Seeleute sahen mit großen Augen zu und murmelten etwas von Cynaris und Batus. Cheftu bedeutete den übrigen, die beiden auf den Sand zu legen. Grimmig zurrte Cheftu ihnen Hände und Füße zusammen. Falls sie starben, würden sie losge-bunden, aber er würde nicht zulassen, dass sie einander umbrachten. Nicht auf seiner Krankenstation - selbst wenn sie nur aus einem Strand bestand!
Niko stand vor der Tür zum Labor des Spiralenmeisters.
Seine Hände waren klamm, er konnte sich nicht entsinnen, je so aufgeregt gewesen zu sein. Gleich nachdem er sich überzeugt hatte, dass die junge Frau überleben würde, war er zu seinem Mentor gelaufen. In ihrer Wunde hatte eine Blutvergiftung eingesetzt,
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