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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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sie merkte, wie sich ihre Lippen sofort schlossen.
    »Gut.« Anselmo holte
tief Luft. »Wenn deine Enttäuschung über mich immer noch so groß …« Dann
verklangen seine Worte einfach. Erneut ein Luftholen. »Ich glaube, ich weiß gar
nicht, was ich eigentlich sagen will.«
    »Anselmo, wir sollten
versuchen zu schlafen. Wir haben so einiges durchgemacht. Und die Zukunft wird
gewiss ebenso beschwerlich.«
    »Wie du meinst«, erwiderte
er mit müder Stimme.
    Warum kannst du es ihm
nicht einfach sagen?, fragte sich Bernina. Du bist feige. Zum ersten Mal im
Leben bist du feige. Ganz kurz nur tauchte Nils Norbys Gesicht vor ihr auf,
bloß um gleich wieder von Schwärze überdeckt zu werden. Die Finsternis wurde
tiefer, die Geräusche an Deck lösten sich auf. Erleichtert fühlte Bernina, wie
der Schlaf sie nach und nach überwältigte, wie ihre Gedanken zur Ruhe kamen.
    Im Nachhinein hätte sie
kaum sagen können, wie die Tage auf See an ihr vorübergezogen waren. Zwar war
es zumeist kalt auf der Galeone, aber immerhin suchte sie kein Sturm heim,
Meile um Meile trieb sie der Wind vor sich her, hinweg über den grün flirrenden
Teppich, der über den Horizont hinauszureichen schien. Anselmo ging es schlechter,
seine Stirn war heiß, und Bernina befürchtete bereits, die Wunde hätte sich
trotz mehrfachen Reinigens entzündet. Doch das Fieber hielt sich
glücklicherweise nicht allzu lange, wenn es ihn auch zusätzlich schwächte,
sodass er die enge Schlafstelle so gut wie nie verließ. Bernina blieb ebenfalls
beinahe die gesamte Zeit über in der kleinen Kajüte, um ihm Gesellschaft zu
leisten. Oder der Gegenwart eines anderen Mannes auszuweichen, da war sie sich
nicht so ganz sicher.
    Gelegentlich, an ruhigen
Nachmittagen, wenn der Wind abnahm, oder kurz bevor die Nacht den Himmel
schwärzte, suchte sie sich eine unauffällige Stelle am Rand der Reling, wo sie
allein sein konnte und das Salz in der kristallenen Luft auf den Lippen
schmecken konnte. Diese Fahrt hatte etwas sonderbar Unwirkliches. Als wäre sie
der Welt für eine Weile entschlüpft. Etwas, das ihr das Gefühl vermittelte,
endlich einmal ausruhen zu können. Nicht nur ihr Körper, vor allem ihr Geist
wirkte zuweilen bleischwer angesichts der hinter ihr liegenden Entbehrungen.
    Ein einziges Mal nur
wurde sie in diesen Augenblicken schwereloser Einsamkeit gestört. Eine Stimme
umschwirrte sie wie aus dem Nichts, die Stimme des Schweden – so urplötzlich
wie er selbst auf dem Weg nach Valencia in einem dramatischen Moment
aufgetaucht war, als hätte ihn der Erdboden ausgespuckt. »Hatte ich nicht
recht?«, fragte er. »Das Meer ist etwas Besonderes. Es lässt einen einfach
nicht los, nicht wahr?«
    Bernina drehte sich zu
ihm um. »Ja, du hattest recht.« Gleich wich sie seinem Blick aus, ihre Augen
suchten rasch wieder die Weite der im Abendlicht funkelnden Wasseroberfläche.
    »Fast könnte man meinen,
das Schicksal hätte uns beide irgendwie aneinandergekettet. Findest du nicht,
Bernina?«
    »Ich bin sehr
vorsichtig, wenn es um das Schicksal geht«, erwiderte sie verhalten. »Falls es
wirklich eines gibt, dann sollte man ihm nicht unbedingt trauen.«
    Norby lachte leise.
»Immerhin scheinst du Gutes in mir hervorzuholen, von dem ich nicht wusste,
dass ich es noch habe. Wegen dir habe ich nie wieder die Henkerkapuze
übergestreift. Wegen dir habe ich letzten Endes in Spanien die Seiten
gewechselt. Übrigens zum ersten Mal in meinem Leben. Beinahe wie ein lausiger
Verräter. Aber so fühle ich mich nicht. Im Gegenteil, es war richtig, was ich
tat – und gerade noch rechtzeitig.«
    »Zum ersten Mal?«,
wiederholte sie leise – obgleich sie eigentlich gar nichts hatte sagen wollen.
    »Ja, natürlich. Wie ist
die Frage gemeint?«
    »Ach …« Sie winkte ab.
»Ich weiß auch nicht, das war nur so dahergesagt.«
    »Mhm.
Mir ist aufgefallen, dass du niemals nur so etwas dahersagst.« Sein Blick ruhte
aufmerksam auf ihr. »Also – was beschäftigt dich? Hast du irgendetwas über mich
erfahren, das nicht sehr eindrucksvoll klang? In der Festung vielleicht?«
    »Nein,
sondern lange bevor ich dort ankam. Feldwebel Meissner sprach über dich. Du
hast ihm imponiert, so wie all den anderen Männern. Aber eine Geschichte aus
deiner Vergangenheit, die schien nicht recht zu dir zu passen.«
    Norby
stieß einen knappen Laut aus, den sie nicht zu verstehen oder durchschauen
vermochte. »Eine Geschichte, die mit dem Tod meines Königs zusammenhing, wie
ich vermute. Gustav

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