Die Sehnsucht der Krähentochter
waren.
Eine weitere Gestalt erschien, schlank, hoch gewachsen, erhaben ihr Schritt.
Doch auch ihre dunkle elegante Kleidung war staubig. In der Hand der Degen:
Juan Alvarado.
Bernina stürzte zu
Anselmo, der auf dem Rücken im Laub lag, die Augen geschlossen. Blut. Anselmos
Blut. Noch in der Bewegung musste sie mitansehen, wie der dritte Soldat einen
Widersacher mit kaltblütigem Degenstich ausschaltete, bevor auch er tödlich
getroffen zu Boden sank. Die Pistole, die Anselmo im Gürtel getragen hatte, war
nicht zu sehen – anscheinend war sie beim Sturz verloren gegangen. Kniend
blickte sie auf, die Schatten der zwei Männer fielen auf sie. »Ihr Sohn ist
tot«, sagte Juan Alvarado. In Deutsch, sodass Bernina ihn verstehen musste.
»Elena wird die nächste sein.«
Ohne ein Wort zu äußern,
hielt Bernina seinem erbarmungslosen, von blinder Rachsucht durchdrungenen
Blick stand.
Dann das knisternde
Geräusch schwerer Schritte im Laub – erneut jemand, der scheinbar wie aus dem
Nichts erschien. Jemand, der den Degen eines der toten Soldaten ergriff.
Entschlossen, doch auch mit verblüffender Lässigkeit ging er geradewegs auf
Alvarado und dessen Helfer zu.
»Sie?«,
entfuhr es dem Spanier zischend. »Sie haben versagt! Jetzt brauche ich Ihre
Unterstützung gewiss nicht mehr.«
Der
andere Mann hob die Waffe und grinste schmal. »Ich bin nicht mehr hier, um Sie
zu unterstützen.« Die langen blonden Haare wehten im leichten Wind. »Sondern um
das zu tun, was ich schon früher hätte tun sollen – um Sie unschädlich zu
machen, Señor Alvarado. In den letzten Tagen habe ich mich in Valencia umgehört
– über Sie. So kurz die Zeit war, habe ich doch vieles über Sie erfahren. Es
war ein Fehler, mit Ihnen gemeinsame Sache zu machen.«
»Wie
Sie meinen, Norby. Bringen wir es also hinter uns.« Dann sagte Alvarado etwas
auf Spanisch zu seinem Helfer – und sofort näherten sie sich beide dem
Schweden. Jeder von einer Seite versuchten sie, ihn in die Zange zu nehmen.
Bernina erhob sich und
rannte zu einem der anderen gefallenen Soldaten. Blitzschnell nahm sie seinen
Degen an sich, ebenso rasch wandte sie sich den Kämpfern zu, um einzugreifen –
doch das war nicht mehr nötig. Nils Norbys Klinge drang tief in den Brustkorb
Juan Alvarados ein, der mit einem Röcheln in die Knie ging, den Blick verklärt.
Tot fiel er nach vorn. Der zweite Spanier warf einen raschen Blick auf den
Schweden – und der Kampfeswille erlosch mit einem Wimpernschlag.
»Hau ab«, war alles, was
Norby sagte. Und wenn der Spanier auch nicht die Sprache verstand, so war ihm
doch die Bedeutung der Worte klar. Er ließ den Degen fallen und lief in den
Wald, wohl zurück zu seinem Pferd.
Bernina achtete schon
nicht mehr auf den Mann. Auch sie warf den Degen ins Gras und stürzte wie zuvor
zu Anselmo, der sich noch immer nicht geregt hatte. Jetzt erst fiel ihr der
Stein auf, gegen den sein Kopf beim Sturz geprallt war. Eine Beule hatte sich
unter seinem Haar gebildet. Noch mehr Blut war aus der Schusswunde ausgetreten.
Sie musste sich endlich um ihn kümmern.
Doch ein Schatten, der
so auf sie fiel wie vorhin der von Juan Alvarado, ließ sie aufblicken. Nils
Norby betrachtete sie. In seinen Augen war ein Ausdruck, den sie nicht recht zu
deuten wusste.
Ein Moment
eindringlicher Stille.
»Ich war zufällig in der
Nähe«, meinte er schließlich, ganz lapidar, mit seiner typischen Ironie, und
ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Bernina sah ihn an. »Zum
Glück warst du das.«
Und dann wandte sie sich
rasch wieder Anselmo zu.
*
Etwas abseits der Stelle, an der vier Männer gestorben waren,
beschattet von einer kleinen Baumgruppe, untersuchte Bernina Anselmo
gründlicher. Norby hatte ihn dorthin getragen, während Bernina die Pferde an
den Zügeln führte. Anselmos Ohnmacht war tatsächlich auf den Stein und den
Aufprall zurückzuführen. Als er langsam daraus erwachte, dauerte es ein
bisschen, bis er wusste, wo er war und was sich zugetragen hatte. Unterdessen
war es Bernina gelungen, die Blutung der Schusswunde zu stoppen. Außerdem hatte
sie mit Geschick einen Verband angelegt. Eine Kugel war vorn in Anselmos Oberschenkel
eingedrungen und seitlich wieder ausgetreten. Der Knochen allerdings schien
nicht in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein – also eine Fleischwunde, zwar
sehr schmerzhaft, aber wie Anselmo sofort nach seinem Erwachen klarstellte,
würde er sich durch sie nicht beirren lassen. »Ich setze meinen Weg
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