Die Sehnsucht der Krähentochter
des
Schwarzwaldes lagen.
Sie folgten nicht den
großen Routen und Straßen, sondern vertrauten sich abgelegenen Tälern und
Wäldern an. Norby verschwand in regelmäßigen Abständen für kurze Zeit, um mit
toten Wildhasen und einmal sogar einem erlegten Reh zurückzukehren, deren
Fleisch sie am Spieß braten oder trocknen und als Vorrat anlegen konnten für
die Zeit, in der sich nichts mehr aufspüren lassen würde. Wenn sie sich in der
Abenddämmerung zu dritt um ein stets klein gehaltenes Lagerfeuer kauerten,
hätte man in ihnen eine gewöhnliche Reisegruppe sehen können – und nicht drei
Menschen, die von einem Ziel angezogen wurden, das sie mit Ungewissheit und
düsterer Bedrohung erwartete. Leise unterhielten sie sich, während die Flammen
winzige Funken in die frostige Luft schossen und der Duft von Bratenfleisch sie
umwehte. Anselmo und Norby begegneten sich weiterhin mit Zurückhaltung und
wählten äußerst knappe Worte füreinander, während Bernina sich um Anselmo mit
viel Zuneigung kümmerte und Norby mit bewusster Nüchternheit ansprach. Nein,
eine gewöhnliche Reisegruppe waren sie ohne Zweifel nicht. Aber auf eigenartige
Weise schien das Leben sie zumindest für diesen Abschnitt einander zugeführt zu
haben.
Je weiter sie nach
Norden vordrangen, desto mehr nahm die Kälte zu. Neuerlicher Schneeregen zwang
nicht mehr nur Bernina und Anselmo, sondern auch den Schweden über Nacht in den
Planwagen. Norby lehnte das zunächst noch rundweg ab, doch das Wetter ließ ihm
letztlich keine andere Wahl, wenn er sich nicht Erfrierungen zuziehen wollte.
Seltsam diese Atmosphäre im Wagen. Das Paar in einer Ecke, der große Mann mit
den blonden Haaren in der gegenüberliegenden. Während Anselmo zumeist sofort in
den Schlaf sank, noch immer geplagt von Fieber und Schüttelfrost, lag Bernina
lange wach. Sie lauschte der Stille und rätselte, ob Norby ebenfalls mit
offenen Augen die Dunkelheit anstarrte. In Gedanken sah sie zuweilen ein
bestimmtes Bild des Schweden vor sich: er auf dem Schiffsdeck, das Gesicht mit
innerer Ruhe dem Wind zugewandt, unmerklich lächelnd, die Augen geschlossen. Er
hatte die Tage auf See ausgekostet. Und wohl auch die damit verbundenen Erinnerungen
an frühere, für immer verlorene Zeiten.
Doch
natürlich war es nicht allein Nils Norby oder die Sorge um Anselmo, was Bernina
den Schlaf raubte, sondern auch das, was vor ihr liegen mochte. Was würde sie
in der Heimat vorfinden? Die gleichen Schrecken wie damals, als sie dazu
gezwungen war, die Flucht zu ergreifen? Was mochte sich in der Zwischenzeit
ereignet haben? Egidius Blum. Der Geigenspieler. Das Gefolge mit den roten
Umhängen. In Spanien war die goldene Rose von Alvarado besiegt worden. Das galt
nicht jedoch für die Männer, die Teichdorf mit Angst und Gewalt überflutet
hatten. Die Rose von Alvarado lebte noch. Jedenfalls gab es nichts, was gegen
diese Möglichkeit sprach. Bernina hörte, wie stürmische Böen an der Wagenplane
rissen, und irgendwo im schwarzen Nichts um sie herum sah sie die Feuer auf dem
Weidenberg. Sie vernahm jedoch auch etwas anderes. Eine ferne und zugleich nahe
Stimme, die ihr flüsternd einschärfte: Dein Weg ist erst dann zurückgelegt,
wenn der Kreis sich schließt.
Bernina
verspürte ein unerschütterliches Vertrauen in diese Stimme. Ja, sie wollte den
Weg zurück ins Dunkel beschreiten und den Kreis schließen. Zumindest versuchen
würde sie es. Was auch immer das für Konsequenzen haben mochte.
Eine
Nacht verbrachten sie in einer einsamen, offenbar seit Langem nicht mehr
genutzten Scheune mit undichtem Dach, und bald darauf kampierten sie im
Gasthaus eines kleinen Dorfes, die trockene Wärme des Gemäuers und die von
geübter Hand zubereitete Abendmahlzeit genießend. Auch Anselmo saß an dem Tisch
des Schankraums, noch immer geschwächt, mit nassen, wirr in der Stirn
klebenden Haarsträhnen, aber seine spanische Zunge machte sich bezahlt. Denn
der Zufall schickte zwei Händler aus Sevilla in entgegengesetzte Richtung durch
diese Siedlung, und dank dieser beiden Männern erfuhren er und die anderen,
dass der Krieg während ihrer Abwesenheit weiter sein Unwesen getrieben hatte.
Schon die erste Neuigkeit, die sie zu berichten wussten, hatte etwas
Gewichtiges. Der große, längst legendär gewordene Arnim von der Tauber war tot.
Gefallen in der Schlacht, wie es bei einer der wichtigsten Figuren dieses
ewigen Krieges wohl vorhersehbar gewesen war. Seine Truppen waren vom
kaiserlichen General
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