Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
fort«,
versicherte er Bernina.
    »Bist du sicher? Es
schadet nichts, noch etwas zu warten und dir somit Erholung zu verschaffen.«
    Doch er wollte davon
nichts wissen. Auch über den Tod seines Onkels äußerte er sich so gut wie gar
nicht. »Er hat das Ende bekommen, das er verdiente.« Das waren die letzten
Worte, mit denen Juan Alvarado noch bedacht wurde. Ja, es schien sogar, dass
gerade dieser neuerliche Gewaltausbruch Anselmo nur umso mehr darin bestärkte,
den Rückweg in die Heimat anzutreten. »Wir müssen etwas zu Ende bringen«, sagte
Anselmo. »Und das können wir offenbar nur in Teichdorf.«
    Dann allerdings
erstarrte Anselmo. Erst jetzt hatte er den Schweden bemerkt, der sich während
des Gesprächs im Hintergrund und bei den festgebundenen Pferden aufgehalten
hatte. Nur mühsam vermochte Bernina Anselmos Zorn auf den Hauptmann zu
besänftigen. Nicht einmal die Tatsache, dass sie es letzten Endes Norby zu
verdanken hatten, überhaupt noch am Leben zu sein, vertrieb den Argwohn aus
seinen Augen.
    »Norby hat angeboten,
uns zu begleiten und uns Schutz zu geben«, flüsterte Bernina Anselmo zu.
    »Hast du etwa
eingewilligt?«
    »Ich weiß, dass du
Schmerzen hast. Du wirst nicht einmal richtig auftreten oder reiten können.
Anselmo, er hat mir schon einmal geholfen. Ohne ihn hätte ich Teichdorf niemals
lebend verlassen können.«
    »Wo sind die Männer, die
mit ihm die Festung verließen?«
    »Er erwähnte kurz, es
hätte sie schnell in alle Winde zerstreut. Sie waren froh, mit dem Leben
davongekommen zu sein.«
    In Anselmos Augen
blitzte es auf. Er erwiderte nichts darauf, sah nur an ihr vorbei auf den
Schweden.
    »Anselmo, wir sind
völlig auf uns allein gestellt. Und du bist verwundet. Uns steht eine lange
ungewisse Reise bevor.«
    »Ich halte nicht viel
von Verrätern und Überläufern.«
    »Norby hat eingesehen,
dass er sich für die falsche Seite entschieden hatte. Aber es war für ihn die
Chance, seinem Leben eine neue Richtung zu geben.« Sie strich sich das Haar aus
der Stirn. »Anselmo, er ist kein schlechter Mann, davon bin ich überzeugt.«
    »Du scheinst sehr viel
Verständnis für ihn zu haben.« Jetzt sah er sie doch an, und sie musste den
Blick senken.
    »Er hat mir das Leben
gerettet. Sogar schon zum zweiten Mal.«
    »Na gut, einverstanden.«
Dumpf, wie er das aussprach. »Wenn du dich so sehr für ihn einsetzt …«
    »Er hat sich vorhin sehr
für uns eingesetzt.«
    Darauf sagte er nichts
mehr.
    Wie sich rasch
herausstellte, hatte Bernina recht gehabt. Die Verletzung behinderte Anselmo
erheblich. Zwar gelang es ihm, mit Berninas Hilfe das Pferd zu besteigen, doch
jeder Schritt, den das Tier zurücklegte, löste brennende Schmerzen in ihm aus.
Sein Gesicht war verzerrt, sein Oberkörper war ununterbrochen angespannt.
    Nils Norby wusste eine
Lösung. Er ritt davon und kehrte kurz darauf mit einem einachsigen Wagen
zurück, den er irgendwann in den letzten Tagen auf einem verlassenen Gehöft
entdeckt hatte. Das Gefährt lag schief auf seiner Achse und war ziemlich
verlottert, doch es ließ sich noch gebrauchen. Anselmo verweigerte sich der
helfenden Hand des Schweden, aber gestützt von Bernina, schob er sich
schließlich auf die von Heuresten bedeckte Ladefläche. Sein Pferd wurde davor
gespannt, und Bernina führte es von ihrem Sattel aus an einem Lederriemen.
    »Bevor wir den Hafen von
Valencia erreichen, wird der Wagen sicher nicht auseinanderfallen«, ließ Norby
sich vernehmen.
    Anselmo maß ihn mit
einem langen Blick. »Ich nehme an, Sie werden uns auch auf das Schiff begleiten
wollen?« Zum ersten Mal hatte er das Wort an Norby gerichtet.
    »Das werden wir sehen,
wenn es soweit ist.«
    Sie brachen auf, eine
kleine merkwürdige Gruppe, vorneweg der große Mann, dann die Reiterin, dicht
gefolgt von dem altersschwachen Vehikel mit dem Verletzten. Der Überfall
ausgangs des Waldstückes hatte sie aufgehalten, aber sie nahmen sich vor, etwas
von der verlorenen Zeit aufzuholen, indem sie auch die Nacht über ihren Weg
weiterverfolgten. Anselmo war eingeschlafen, erschöpft vom Blutverlust und den
dauernden Schmerzen, und Bernina und der Schwede vermieden zumeist
Blickkontakt. Auch sprachen sie nur das Nötigste.
    Als die Sonne am
folgenden Tag ihren höchsten Punkt erklommen hatte, sah Bernina das Meer
unwirklich in der wieder milden Herbstluft schimmern. Auch die Silhouetten
dieses riesigen Bienenkorbs mit dem Namen Valencia waren aus der Ferne
auszumachen. »Weißt du noch«, wandte

Weitere Kostenlose Bücher