Die Sehnsucht der Krähentochter
blieben
zurück, leere Straßen, durch die nachts lautlos Wölfe auf der Suche nach Beute
strichen. Doch nach der großen Schlacht von Offenburg war eine beinahe nicht
mehr erwartete Ruhe eingekehrt. Die Gegend atmete auf, die Menschen versuchten,
das Leben wieder aufzunehmen, das sie früher einmal gekannt hatten, ein Leben
ohne Blut und ständige Todesfurcht.
Teichdorf
erwachte, wurde mit neuer Lebendigkeit erfüllt und vergrößerte sich sogar.
Inzwischen, drei arbeitsreiche Jahre nach dem Offenburger Gemetzel, in dem die
kaiserlich-katholischen Truppen den Siegeszug ihrer protestantischen Gegner
vorerst beenden konnten, dehnte sich die Ortschaft aus bis zu den Wäldern des
angrenzenden Petersthals. Teichdorf stellte mehr dar als in zurückliegenden
Zeiten, war nicht mehr nur eine Ansammlung von ein paar schiefen
Fachwerkhäusern. Eindrucksvoller Beleg dafür war die Kirche, die umgebaut
worden war und sich wie das gesamte Dorf vergrößert hatte. An diesem Sonntag
sollte sie von einem Ehrengast geweiht werden, von Kardinal Johannes von
Bingen, der zu diesem Anlass den Weg aus Freiburg auf sich genommen hatte.
Dass eine solche
Persönlichkeit Teichdorf besuchte, hatte man allein Egidius Blum zu verdanken.
Seit zwei Jahren war er nun der Pfarrer des Ortes, ein unermüdlicher Mann, der
eines frühen Morgens in zerschlissenen Schuhen vor Schultheiß Kornbacher
gestanden und mit zu allem entschlossener Miene verkündet hatte, dass Teichdorf
eine große Zukunft bevorstehe.
Dieser Sonntag war sein
Tag. Egidius Blums Tag. Und er hatte alles dafür vorbereitet und nicht die
geringste Kleinigkeit dem Zufall überlassen. Es sollte der erste Tag dieser
großen Zukunft Teichdorfs werden. Doch ausgerechnet jetzt hatte sich ein alter
Bekannter aufgemacht, die Menschen abermals in Schrecken zu versetzen. Der
Krieg lebte ebenso neu auf wie vor Kurzem Teichdorf. Schon hörte man wieder von
Gefechten und Plünderungen, von Folter und Todschlag. Die Bedrohung kam diesmal
aus westlicher Richtung. Französische Truppen rückten vor und hinterließen eine
Spur aus Blut.
Egidius Blum allerdings
schien selbst darauf eine Antwort zu haben. Dank seiner Verbindungen waren sie
plötzlich in Teichdorf gewesen, jene Unbekannten, die die Ortschaft beschützen
sollten. Diese fremden Männer mit den schwarzen Augen und den roten Umhängen,
die Waffen trugen, mit merkwürdigem Akzent sprachen und wie selbstverständlich
das einzige Gasthaus Teichdorfs komplett in Beschlag genommen hatten.
Pfarrer Blum wischte die
Bedenken der Bürger mit seiner typischen Entschiedenheit beiseite. »Teichdorf
braucht Schutz«, erklärte er. »Diese Männer werden unser Schutz sein.« Er
kündigte sogar an, dass noch weitere von ihnen folgen würden.
An diesem Sonntag jedoch
wollte sich niemand mit den Fremden beschäftigen. Teichdorf war getränkt von
dem Wunsch, sich seinem ehrenwerten Besucher würdig zu erweisen. Bunte Flicken
und Fetzen wehten an Dachrinnen und Bäumen, und die Straßen waren von den sonst
allgegenwärtigen Pferdeäpfeln befreit worden. Der Ort ruhte in gleißendem
Sonnenschein, bereit für das große Ereignis.
Ruhe lag auch über dem
nicht weit entfernten, von dunklen Waldstücken abgeschirmten Tal, in dem sich
das gemauerte Hauptgebäude und die Ställe des Petersthal-Hofes befanden.
Bernina räumte den Tisch nach einem zweiten kurzen Frühstück ab, mit denselben
gewohnten, geschmeidigen Bewegungen wie immer. Doch in ihrem Kopf loderten noch
die Bilder der letzten Nacht.
Ihre Mutter, die
Krähenfrau, dieses eigenwillige, für niemanden, nicht einmal für Bernina, ganz
zu durchschauende Wesen hatte sich nach wie vor nicht sehen lassen. Berninas
Sorgen um sie waren noch größer geworden. Wusste die Krähenfrau bereits, was
sich auf dem Weidenberg abgespielt hatte?
Als Bernina eine Schale
mit hartgekochten Eiern abstellte, fiel ihr Blick zufällig durchs Fenster. Vor
dem Hauklotz, an dem er normalerweise Brennholz hackte, stand Anselmo mit
verschränkten Armen. Sie konnte sehen, dass er einfach nur vor sich hin
blickte, in Gedanken versunken. Selbst wenn sie es sich noch nicht offen
eingestanden hätte, machte sich Bernina auch um ihn ein wenig Sorgen. Abwesend
streifte er mit zwei Fingern über den Stiel der im Klotz steckenden Axt.
Damals, als sie ihn
kennenlernte, war er ein Gaukler gewesen. Ein faszinierender, temperamentvoller
Mann, der auf dem Seil tanzen konnte und Kunststücke vorführte, der musizierte
und sang, der die
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