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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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noch zuvor. Viele Schüsse, dann Stille. Der Himmel begann
sich dunkel zu verfärben.
    »Überall
in den Wäldern sind Soldaten«, sagte Irmtraud. »Männer von d’Orville und Arnim
von der Tauber. Am Rhein gab es heftige Kämpfe mit Soldaten des Kaisers unter
General von Korth. D’Orvilles Truppen wurden zersprengt und zurückgedrängt. Sie
laufen um ihr Leben. Leider genau auf Braquewehr zu.«
    »Du weißt ja erstaunlich
gut Bescheid.«
    »Wie ich vorhin schon sagte:
Die Soldaten sind die schlimmsten.« Traurig sah sie an Bernina vorbei. »Aber es
gibt so viele von ihnen. Ich treffe sie immer wieder. Verzweifelte Deserteure,
wilde Kämpfer, alte, junge, von dieser oder jener Armee.«
    »Dann gehören die
Soldaten, die hier in den Wäldern gesehen wurden, also zu General d’Orville?
Die, die zurückgedrängt werden?«
    Irmtraud überlegte kurz.
»Ach so, die meinst du. Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Diese Männer sind
nicht leicht zu durchschauen. Ich weiß nicht einmal, wen sie unterstützen. Ich
weiß bloß, dass sie sich hier in der Nähe sammeln. Sie werben neue Leute an.
Und dann wollen sie aufbrechen, nach Westen. Eine kleine merkwürdige Truppe.
Keine Musikanten, keine Metzger, keine Fuhrknechte mit Wagen, wie das sonst
immer ist. Nur schwer bewaffnete Kämpfer. Offenbar warten sie noch auf einen
berühmten Offizier, der sie anführen soll. Wirklich: Aus denen etwas
rauszubekommen, ist gar nicht so einfach.« Ein Schmunzeln. »Nicht einmal für
mich.«
    Auf der Straße wurde das
Trommeln schneller Schritte laut. Menschen rannten an den Fenstern vorbei. Die
beiden Frauen und der Junge sahen nach draußen und verständigten sich mit einem
Blick.
    »Die
Angst treibt die Menschen in die Häuser«, sagte Irmtraud. »Hier gibt es zwar
eine Stadtmauer als Schutz, aber nur ein paar wenige Männer, die Waffen haben.
Orte wie Braquewehr werden vom Krieg einfach weggespült.«
    »Vielleicht wissen die
Leute etwas, das uns noch nicht bekannt ist. Irgendeine schlimme Neuigkeit.«
    »Es liegt irgendetwas in
der Luft.« Irmtraud schüttelte sich wie unter Frost. »Ich kenne solche
Stimmungen aus anderen Städten. Wahrscheinlich rücken d’Orvilles Soldaten
endgültig auf Braquewehr vor. Sie suchen gewiss Schutz vor dem Feind, der ihnen
auf den Fersen ist. Schon morgen ist hier womöglich die Hölle los.«
    Pierre war ganz bleich
geworden.
    »Los, Pierre«, sagte
Bernina. »Geh nach oben und schließ die Läden vor den Fenstern. Ich kümmere
mich um die unteren.«
    Offenbar erleichtert,
irgendetwas tun zu können, lief er sofort die Treppe nach oben.
    Bernina sah Irmtraud an.
»Es ist klar, dass du hier bleibst. Wer weiß, was heute noch alles passiert.«
    »Du bist unglaublich
nett zu mir, aber ich will nicht bleiben.«
    »Was?«
    »Die Nacht ist meine
Zeit, vor allem dann kann ich ein paar Münzen verdienen.«
    Bernina konnte es nicht
glauben. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Wenn es wirklich gefährlich wird,
denkt gewiss niemand an …«
    »Ach, das weiß man nie«,
fiel Irmtraud ihr ins Wort. »Ich kenne doch die Männer. Gerade in solchen
Nächten freuen sie sich über weibliche Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass
es noch bis morgen dauert, bis die Kämpfe in Braquewehr anfangen.«
    »Ich finde nicht, dass
…«
    »Halt!«, unterbrach
Irmtraud sie mit plötzlicher Schärfe. »Das ist meine Sache. Ich habe kein
schönes Leben, aber wenigstens eines, in dem mir niemand Befehle erteilt. In
dem allein ich entscheide.«
    Bernina war etwas
überrascht angesichts der Heftigkeit. »Wie du meinst, ich kann dich tatsächlich
nicht zwingen. Aber vergiss nicht, Irmtraud: Hier ist ein Ort, an dem du nicht
allein bist.« Ihre Worte waren voller Eindringlichkeit. »Zögere nicht, zu uns
zu kommen. Selbst wenn Meister Schwarzmaul wieder da ist.«
    »Na, der wird eine Hure
auf keinen Fall in seinen vier Wänden dulden, das weiß ich ja zu gut.«
    »Lass Schwarzmaul
einfach meine Sorge sein«, erwiderte Bernina beruhigend. »Ich werde mit ihm
sprechen.«
    Irmtrauds Gesicht zeigte
nun ein dankbares Lächeln. Sie fiel Bernina um den Hals. »Ich wollte nicht
unverschämt sein, aber ich …«
    »Schon gut, Kleine.«
    »So freundlich wie du
war noch niemand zu mir. In meinem ganzen Leben nicht.«
    Langsam löste sich
Irmtraud von ihr, und ein Duft blieb in Berninas Nase hängen, ein überraschend
edles Aroma. Sie wollte lieber nicht wissen, wie Irmtraud an ein solch teures
Duftwasser gekommen war.
    Und dann war die
zierliche

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