Die Sehnsucht der Krähentochter
zerschlissene Gewand. Eine neu
aussehende Tunika hüllte ihn ein, darüber lag das offenbar ebenfalls neue
Skapulier, das aus zwei fast bis zur Erde reichenden Tüchern auf Rücken und
Brust bestand, breit geschnitten an den Schultern, nach unten schmaler.
Aufrecht, wie man es bei ihm gewohnt war, stand er da, genau vor dem Portal der
Kirche.
Nicht
weit von ihm befanden sich ein paar der obersten Bürger des Ortes, die
Dorfältesten, darunter Schultheiß Kornbacher in Schnallenschuhen, blütenweißen
Kniestrümpfen, seidengefüttertem Überwurf und mit einem hohen Filzhut.
Eindeutig seine beste Kleidung, zu der jedoch nicht sein Gesichtsausdruck
passte. Merkwürdig verloren blickte Kornbacher auf das, was sich abspielte, als
warte er auf eine Beerdigung.
Einige der Fremden
hatten sich unter die kleine Gruppe mit dem Schultheiß gemischt. Schweigend,
ohne ihren Akzent ertönen zu lassen, verharrten sie im Licht der Sonne, den
Degen an der Hüfte. Die roten Umhänge schmiegten sich leuchtend um ihre
Schultern. An jeder Kragenecke prangte das mit dicken Goldfäden eingenähte
Symbol, das sie verband: eine einzelne Rose.
Fanfaren
ertönten, gleich darauf Trommelschläge. Noch mehr von den schwarzäugigen
Fremden, bewaffnet mit Lanzen und Musketen. Vier von ihnen trugen eine Sänfte
heran, aus der sich mühevoll ein alter Mann wand, um schließlich mit wackligen
Beinen auf Teichdorfer Boden zu stehen. Es war der Ehrengast aus dem Freiburger
Münster, Kardinal Johannes von Bingen, zwar festlich gekleidet, doch
anscheinend von der Reise ziemlich ermattet. Gebeugt seine Gestalt, blass sein
Gesicht, aus dem müde Augen blinzelten.
Stille breitete sich in
der Menge aus. Der Pfarrer und der Kardinal verständigten sich mit einem Blick,
worauf Egidius Blum vortrat.
»Liebe Gemeinde!« Wie
schon auf dem Weidenberg war es, als würde die Stimme des Pfarrers sie alle
umzingeln. »Heute beginnt die Zukunft für Teichdorf.«
Bernina ließ ihre Blicke
über die Umstehenden gleiten. Alle lauschten Blums Worten mit großer
Aufmerksamkeit, geradezu andächtig. Dass Teichdorf sich verändert hatte, das
verdankten sie in erster Linie ihm, und das gaben sie ihm durch die Art zu
verstehen, mit der sie ihm zuhörten. Er war wichtig für sie, mehr als das. In
gewisser Weise stand Blum auch über Schultheiß Kornbacher. In der
abgeschiedenen bäuerlichen Welt Teichdorfs war die Kirche der Mittelpunkt. Hier
fand man nicht nur religiösen Trost, hier begegnete man sich, tauschte
Erfahrungen aus, traf Abreden. Und so war der Pfarrer auch nicht nur für das
geistige Wohl zuständig, er war Arzt und Helfer, Lehrer und Ratgeber.
Egidius Blum hatte sich
als besonders ehrgeizig und tatkräftig erwiesen. Damit hatte er den ganzen Ort
für sich gewonnen. Und deshalb waren auch alle bereit gewesen, für den Umbau
der Kirche ihren Teil beizutragen. Aus dem ganzen Schwarzwald hatten die Bauern
Steinquader herangekarrt, und so manches Fuhrwerk war dabei im Matsch stecken
geblieben.
Doch es hatte sich
gelohnt. Dieser Tag war die Bestätigung für sämtliche Mühen. So fühlten alle.
Bernina sah es ihnen an, während Blum wieder in ihr Bewusstsein rückte. Gerade
rief er voller Überzeugung: »Meine Absicht ist es, euch mit aller Macht auf dem
rechten Pfad weiterzuführen.« Schweiß tropfte von seiner Nase, seine Augen
funkelten. »Und alle, die von diesem Pfad abgewichen sind, die werde ich wieder
zurückgeleiten. Das Laster der Hexerei werden wir eigenhändig austreiben,
ebenso wie jedes andere Laster. Irrige Lehren dürfen sich nicht verbreiten.
Vergesst nicht: Das Böse ist ansteckend. Und es darf nicht den reinen Leib
unseres Dorfes infizieren. Niemals!«
Während die Worte Blums
durch die Luft trieben wie kurze messerscharfe Windstöße, sah Bernina einmal
beiläufig zu Anselmo, der ganz nah neben ihr stand, und etwas in seinem Gesicht
ließ sie aufmerksam werden. Sie merkte ihm an, dass er nicht zuhörte, aber er
war auch nicht in dieser Gedankenschwere gefangen wie zuletzt. Ein merkwürdiger
Ausdruck spiegelte sich in seinen Zügen wider.
Bernina sah in die
Richtung, in der er zwischen den Menschen hindurchspähte, und was sie
entdeckte, traf sie völlig unerwartet. Ausgerechnet einer der Fremden nahm
Anselmos Blick auf, erwiderte ihn, beinahe schien es sogar, als würden sie sich
auf etwas verständigen. Dann war es auch schon wieder vorüber, der Fremde und
Anselmo schenkten einander keinerlei Beachtung mehr.
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