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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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unbeschwerte Jahre.
Jetzt allerdings ging etwas in ihm vor, das sie nicht verstand, das er vor ihr
geheim hielt. Anfangs war sie sich nicht sicher gewesen, ob es überhaupt
stimmte. Mittlerweile jedoch hatte sie keinerlei Zweifel mehr. Und das
Schlimmste war für sie weiterhin, dass er einfach nicht mir ihr sprach. Nach
außen gab er sich wie sonst auch, aber er konnte sie nicht täuschen.
    Immer wieder musste
Bernina an jenen Blick denken, den Anselmo mit dem fremden Mann gewechselt
hatte. Zuerst wollte sie ihn darauf ansprechen, dann jedoch hatte sie kein Wort
darüber verloren. Stets hatten sie sich alles gesagt, offen über alles geredet.
Sie fragte sich, weshalb das jetzt nicht mehr so war.
    Jeder Tag verlief
irgendwie gleichförmig. Nach dem Aufstehen beim Morgengrauen wartete die
Arbeit, die nur für zwei kleine Essenspausen unterbrochen wurde, dann die
abendliche Mahlzeit, kurze Gespräche wechselten sich ab mit langem Schweigen.
Die Dunkelheit kam, sie zogen sich ins Schlafzimmer zurück, wünschten sich eine
gute Nacht, und Anselmo blieb, wie er war.
    »Vermisst du die alte
Zeit?«, fragte Bernina ihn einmal leise, nachdem sie die Kerze ausgepustet
hatte und unter eine leichte Zudecke neben seinen sehnigen Körper glitt.
    »Die alte Zeit?«
    »Ja, die Tage, als wir
mit deiner Gaukler-Gruppe durch die Lande gezogen sind, ohne Ziel, von einer
Siedlung zur nächsten. Als wir unser Lager aufschlugen, wo immer wir wollten.«
    »Der Krieg hat die Gruppe
zerstört«, erwiderte er leise. »Und auch das Leben, das wir damals führten.
Aber es bringt nichts ein, etwas Verlorenem ewig nachzutrauern. Jetzt bin ich
hier bei dir. Ich will nirgendwo anders sein. Und ich bin glücklich.«
    Etwas nüchtern, wie das
letzte Wort klang. Oder bildete sie sich das nur ein?
    »Wir waren irgendwie
freier, stimmt’s? Ich dachte, das ist es, was dir fehlt. Frei zu sein.«
    »Ich bin frei.«
    Bernina seufzte und
rückte noch ein bisschen näher an ihn heran. »Dann ist es vielleicht so, dass
du etwas anderes vermisst. Zum Beispiel, Vater zu sein?«
    »Wenn du bei mir bist,
vermisse ich überhaupt nichts.«
    Sein Charme hatte
diesmal etwas Sprödes.
    »Ich bin immerhin schon
fast 24. Andere Frauen in meinem Alter haben längst mehr als ein …«
    »Ich vermisse nichts«,
unterbrach Anselmo sie. »Glaub mir.«
    »Was hältst du von den
Männern?«, fragte sie so plötzlich, dass es sie selbst verblüffte. »Ich meine«,
fuhr sie zurückhaltender fort, »von diesen Fremden mit den roten Umhängen.«
    Er ließ sich Zeit mit
einer Antwort. Zumindest kam es ihr so vor.
    »Du weißt, was ich über
Männer denke, die mit Waffen und Blut ihr Geld verdienen. Denn darauf läuft es
doch bei ihnen hinaus, nicht wahr?« Er stieß die Luft zwischen geschlossenen
Lippen aus. »Sie sind alle gleich. Ich halte gar nichts von ihnen.«
    »Ich meine es nicht
allgemein. Ich meine diese Söldner im Besonderen. Hast du sie früher schon
einmal gesehen?«
    Bernina spürte, dass er
sie im Dunkeln ansah.
    »Wie kommst du darauf,
Bernina?«
    »Einfach nur so.« Mit
der Zunge fuhr sie sich kurz über die Lippen. »Ich habe wirklich keine Ahnung.«
    »Diese Männer sind
Spanier. Es sind wilde Gesellen, die schon lange mit und von ihrem Degen
leben.« Wieder stieß Anselmo die Luft aus. »Du weißt, dass spanisches Blut in
mir fließt.«
    »Natürlich weiß ich
das.« Sie ließ etwas Zeit verstreichen. »Also kennst du sie nicht?«
    »Woher sollte ich? Du
hast manchmal Ideen.«
    Er drehte sich um, und
Bernina wusste, dass er nichts mehr sagen würde. Sie starrte in die Finsternis
und schnupperte die Gerüche des Hofes, die ihr längst in Fleisch und Blut
übergegangen waren. Die nächtliche Stille wurde vom Geheul eines Wolfes
unterbrochen, der nicht allzu weit entfernt sein konnte, und mit einem kurzen
Gedanken an den Henker und Wolfsjäger schlief Bernina ein.
    Am darauffolgenden Tag,
irgendwann um die Mittagszeit, sah Bernina Anselmo aus dem nahen Wald kommen.
Er bemerkte sie nicht, da sie von der Wand des Hühnerstalles abgeschirmt wurde,
in den Händen noch ein paar letzte Futterkörner. Genau wie einige Tage zuvor
blieb er beim Hauklotz stehen, einen grüblerischen, beinahe abwesenden Ausdruck
im Gesicht. Er starrte auf die Axt, lange, sehr lange. Auf einmal ergriff er
sie mit beiden Händen, riss sie aus dem Klotz, nur um sie gleich wieder mit
aller Kraft in das feste Holz hineinzuschlagen. Ihr Stiel wippte heftig nach.
    »Sieht so aus, als hätte
er eine

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