Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Wenn er in Marguerites wunderschöne Augen blickte, war sie allein alles, was er sah, alles, was ihm wichtig war. Ein schöner, verwundeter Vogel mit eisernem Willen. Ja, er sah ihre Schönheit, aber er sah auch ihr Herz, das Herz eines Menschen, der um sein Überleben kämpfte, das Herz einer Suchenden – wie er selbst ein Suchender war. Er nahm dieselbe zaghafte, vorsichtige Hoffnung an ihr wahr, die ihn selbst bei dem Gedanken an eine friedliche Zukunft inmitten der Natur beflügelte, wenn sie einander hielten und über ihr neues Leben sprachen.
Sie war seine andere Hälfte. So lange hatte er sie schon gesucht. Er würde nicht zulassen, dass er sie jetzt verlor.
Er ging zu der Kammer auf der Rückseite des Theaters, dem kleinen Raum, in dem er und Marguerite sich zum ersten Mal geliebt hatten. In dem er schließlich – als sie auf dem Seil balancierte – gesehen hatte, wie ihr silbernes Strahlen sich in einem funkelnden Sternenregen auflöste, der die ganze Welt in Brand setzte. In diesem vollkommenen, strahlenden Augenblick hatte er gewusst, dass sein Herz ihr gehörte und immer gehören würde.
Und sie waren ihrem zerbrechlichen Traum von einem gemeinsamen Leben so nahe, so ungeheuer nahe.
Nikolai musterte das grüne Schloss, das jetzt in seiner ganzen Herrlichkeit vollendet war. Bestickte, mit kleinen Gewichten beschwerte Fahnen hingen von den Zinnen. Heute Abend, nach dem Turnier und nach dem Festmahl, würden die Schönheit und ihr Hofstaat in diesen Türmen ihre Plätze einnehmen und ins Theater getragen werden. Die acht Herren in ihren blauen und goldenen Gewändern, angeführt von dem blutrot gekleideten „Brennenden Verlangen“, würden mit Orangen und Datteln als Waffen die Belagerung beginnen. Die Damen würden Rosenwasser über sie gießen und Konfekt über die Zinnen werfen. Natürlich würde alles gut enden. Die dunklen Damen – Gefahr und Missfallen und wie sie sonst noch hießen – würden fliehen, die anderen sich ergeben und in die Nacht hinaustanzen.
Jede geworfene Dattel, jeden Tanzschritt hatte sich Nikolai sorgfältig überlegt, um ein treffendes Bild höfischer Liebe wiederzugeben. Er hatte einer Herde kichernder Hofdamen ihre Positionen und ihr Gebaren auf der Bühne so erklärt, dass es keine Chance für Fehler gab. Doch er würde nicht hier sein, um es sich anzuschauen.
Alles war bereit und so perfekt vorbereitet wie das grüne Schloss selbst. Die Holzfassade musste nur ein paar Stunden lang halten, doch in dieser Zeit durfte nichts schiefgehen.
Ein leises Rascheln war an der Tür zu hören, und Nikolai fuhr herum. Seine Hand fuhr zum Dolch, der an seinem Gürtel hing. Doch es war nur Balthazar, der in die Kammer schaute.
„Ist alles bereit?“, fragte Nikolai leise.
Balthazar nickte. „Die ‚Elena Maria‘ wartet in London auf uns. Wir können mit der morgendlichen Flut nach Calais aufbrechen. Und das Boot, das uns zur ‚Elena Maria‘ bringt, liegt zur bestimmten Stunde an der hintersten Treppe, die ins Wasser führt. Jeder kennt seine Rolle.“
Nikolai lachte. „Mir ist, als entdeckte ich eine Spur diabolischen Vergnügens in deiner ernsten Miene, Balthazar! Die venezianische Lust an der Intrige hat dich noch nicht ganz verlassen, was?“
Balthazar grinste. „Ich fürchte, im Haus meines Vaters verlor ich den Geschmack an politischen Machenschaften. Doch eine romantische Intrige – nun, die kann ich genießen. Solange es mich nicht selbst betrifft“, fügte er eilig hinzu.
„Wir alle meinen, wir seien immun gegen die Liebe, oder?“, sagte Nikolai. „Wir sind zynische Männer von Welt, zu klug, um in dieser Falle gefangen zu werden. Doch ich sage dir, mein Freund, die Liebe ist viel listiger, als wir glauben wollen. Sie wartet auf dich, wo du sie am wenigsten vermutest, und bringt dich augenblicklich zu Fall.“
Balthazar schüttelte den Kopf. „Wo ich hingehe, wagt die Liebe es nicht, auf mich zu lauern, da bin ich mir sicher. Und für Cupidos Pfeil ist mein Herz zu hart. Da wird er keinen Erfolg haben.“
„Sprach ich in der Vergangenheit nicht genauso? Sagen wir das nicht alle? Ich schwöre dir, Balthazar Grattiano, selbst dich wird es eines Tages erwischen …“
26. KAPITEL
Ihr wisst, was Ihr zu tun habt, ja?“, fragte Marguerite Señorita Alva. Sie trat einen Schritt zurück, um die Aufmachung des Mädchens zu überprüfen und sich davon zu überzeugen, dass ihr schwarzes Haar unter der goldenen Kappe versteckt war.
„Oh ja!“, sagte
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