Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
bleichen Haut festgesetzt hatten, zu akzeptieren. Ebenso wie sie eines Tages beschlossen hatte, ihren viel zu kleinen Busen nicht mehr künstlich mit ins Dekolleté gestopften Tüchern zu vergrößern. Sie hatte früher sogar versucht, sich zusätzliche Pfunde anzufuttern, bis ihr übel wurde, und hatte das dann ebenfalls aufgegeben. Sie war eben eine quirlige Person, die nicht lange ruhig sitzen konnte.
Charles lächelte leicht, sein Blick ruhte freundschaftlich und überhaupt nicht kritisch auf ihr, und sie stellte überrascht fest, dass die Demütigung plötzlich gar nicht mehr so schlimm war. Unerträglicher war, wie man über sie und Jahan sprach. Sie hatte schon einige Bemerkungen gehört, und auch in den Briefen ihrer Mutter war etwas Ähnliches durchgeklungen; offenbar dachten die Leute wirklich, dass die Freundschaft zwischen ihr und dem Neffen des Nawab über ein paar Liebesworte und Küsse hinausgegangen war. Sie war nun schon seit vier Wochen daheim, hatte jedoch jeden Kontakt sogar mit Jahans Schwester, mit der sie von Kindheit an eine enge Freundschaft verbunden hatte, vermieden. Sie war eine der wenigen englischen Frauen gewesen, die Zugang zur Zenana, dem Wohnbereich der Frauen im Palast, hatten. Und sie war vor allem die einzige englische Frau, die jemals Jahans Aufmerksamkeit erregt hatte. Er war ein geschmeidiger junger Mann, schön wie eine indische Gottheit, und inzwischen war er nicht nur mit einer liebreizenden blutjungen Gattin, sondern auch mit mehreren Konkubinen und Kindern gesegnet.
Sie ging zur Bank zurück, und Charles nahm neben ihr Platz. Er lehnte sich an die Säule und sah so wie sie in die Nacht und die Sterne hinaus. Er schwieg, und sein Gesicht war sehr ernst. Harriet überlegte plötzlich, was an Margrets Geschichte stimmte. Hatte Charles, der ruhige, zurückhaltende Charles, sich wirklich einer Frau wegen duelliert? Und was hatte er gefühlt, als diese dann mit dem Piraten auf und davon war? Sie spürte plötzlich eine neue Verbundenheit mit ihm. Sie beide hatten einen Menschen, den sie liebten, an einen anderen verloren.
Er musste ihren Blick spüren, denn er wandte den Kopf und sah sie fragend an.
»Sie waren es also, der diese Betrunkenen verjagt hat«, erklärte Harriet ihren prüfenden Blick. Jetzt war tatsächlich so einiges klar. Sicherlich hatten diese Kerle ihn erkannt und sich deshalb davongemacht. Wer wollte sich schon mit einem Mann mit seinem Einfluss anlegen, von dem nur ein Wort an der richtigen Stelle genügte, um Unruhestifter ins Gefängnis werfen zu lassen?
»Dieses Verdienst kann ich mir leider nicht anrechnen, Miss Dorley. Ich war lediglich ein stummer Bewunderer Ihres energischen Auftretens. Worum ging es denn eigentlich?«
»Der Junge hatte diese Männer bestohlen. Sie hatten ihm jedoch schon alles abgenommen und wollten ihn dann noch verprügeln.« Ihre Augen funkelten empört.
»Es war ein ebenso unterhaltsamer wie mutiger Auftritt«, meinte Charles anerkennend.
Harriet musste schmunzeln, doch dann wurde sie ernst. »Mutter hat mir geschrieben, dass Ihr Vater vor einigen Jahren bei einer Tigerjagd starb«, sagte sie leise. »Das tut mir sehr leid.« Es war keine Gelegenheit gewesen, während des Dinners darüber zu sprechen, denn Charles hatte so leicht und locker geplaudert, dass sie immer ein unverfängliches Gesprächsthema gefunden hatten. Das war ihr auch neu an ihm, früher hatte er den Mund nicht aufbekommen.
Vielleicht passte er ja doch nicht so gut zu Margret Fairfield.
»Er war schwer verletzt und hatte keinen leichten Tod.« Charles’ Stimme klang völlig neutral und ließ weder eine weitere Frage noch eine Mitleidsbezeugung zu.
Sie saßen eine Weile in einträchtigem Schweigen nebeneinander, bis Charles sich erhob. »Wir sollten uns wieder den anderen anschließen, Miss Dorley.«
Harriet sah zweifelnd zum Haus. Stimmengewirr und Musik drangen herüber, das Klirren von Gläsern, Lachen. Sie hatte keine Lust, hineinzugehen, sich unter diese Menschen zu mischen, Arthur und seinen Freunden zu begegnen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Als hätte sie nicht gehört, wie abfällig man über sie sprach. Die Worte schmerzten jetzt noch wie Nadelstiche in ihren Ohren.
Charles hielt ihr auffordernd seine Hand hin. »Kommen Sie ruhig, Miss Harriet. Machen wir uns einen Spaß daraus, Sullivan zu schneiden.«
Sie ergriff seine Hand, ließ sich hochziehen, und erst als sie stand, merkte sie, dass ihre Knie zitterten. Charles legte
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