Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
wirklich mit dem Finger über ihre Wange gestrichen? Weshalb eigentlich? Nur um sie zu beruhigen?
»Dieser Sullivan ist ein Bastard«, sprach Harding weiter. »Der ist in mehr dreckige Geschäfte verwickelt, als ich bis vor kurzem dachte. Sie sollten vorsichtig sein. Das ist kein Mann, der Sie öffentlich fordern würde, sondern aus dem Hinterhalt angreift, wenn Sie ihm im Weg stehen.«
Charles ließ endlich die Zeitung sinken.
Harding hatte sich für das Thema ungewöhnlich erwärmt. »Falls Sie aber wirklich ein Auge auf Sir Percivals Tochter geworfen haben, würde ich bestimmt Mittel und Wege finden, Sullivan auszuschalten. Was vielleicht gar keine schlechte Idee wäre.« Er blickte angelegentlich in sein Whiskeyglas, als er weitersprach. »Die Sache mit Harriet Dorley, meine ich. Sie könnten eine schlechtere Partie machen. Ich habe darüber nachgedacht, weil Sir Percival mir gegenüber eine diesbezügliche Bemerkung hat fallenlassen.«
Charles runzelte die Stirn. »Hält er Sie für meinen Vormund? Oder für einen Kuppler?«
»Für einen klugen Geschäftspartner.« Harding ließ einen Schluck Whiskey auf der Zunge zergehen, ehe er weitersprach. »Sullivan hat schon die ganze Zeit über das Maul recht weit aufgerissen, dass er dieses Mädchen heiraten wird. Ihrem Vater gefällt das nicht.«
Verständlich. Charles hatte bis zu diesem Abend noch nicht viel mit Major Sullivan zu tun gehabt, aber er hatte schon öfter beobachtet, wie er sich den Einheimischen gegenüber verhielt, und dafür passte der Ausdruck »mies« am besten. Sullivan war vor drei Jahren nach Kalkutta gekommen und hatte sich in gewissen Kreisen sofort sehr beliebt, in anderen sehr unbeliebt gemacht. Was immer er sonst auf dem Kerbholz hatte, es konnte nicht schaden, ihn einmal unmissverständlich zurechtzustutzen. Zumindest, was sein Benehmen Harriet Dorley gegenüber betraf. Charles fand diesen Gedanken erstaunlich animierend. Er hatte das Mädchen zwar überredet, so zu tun, als wäre nichts gewesen, aber das war kein Grund für ihn, ebensolche Zurückhaltung zu üben.
Nein, Harriet Dorley war kein Mädchen, das einem Mitgiftjäger leicht auf den Leim ging. Sie war außergewöhnlich und hatte einen – für eine junge Dame ihrer Gesellschaftsklasse – recht unverblümten Humor. Und auch sonst eine recht direkte Art, wenn man danach urteilte, wie sie den Betrunkenen mit ihrem Sonnenschirm vermöbelt hatte.
»Sorgen Sie doch bitte dafür, dass unsere Leute sich weniger auffällig benehmen«, sagte er aus diesem Gedanken heraus zu Harding. »Ich habe keine Lust, mit den Behörden Probleme zu bekommen, nur weil sie sich wie betrunkene Idioten aufführen. Außerdem ist in Kalkutta in Zukunft jeder Landgang verboten. Sie sollen sich in anderen Häfen besaufen, aber nicht hier.«
»Der Junge von gestern.« Hardings Blick war sachlich-ausdruckslos.
»Sie sind schon wieder über alles informiert.« Charles nahm einen Schluck aus seinem Glas. Im Gegensatz zu Harding bevorzugte er Wein, und dies war ein hervorragender, etwas herber Franzose. Ein wenig zu warm, aber sehr geschmackvoll.
»Ich bemühe mich«, lautete die emotionslose Antwort. »Miss Dorleys Eingreifen hat sich – in gewissen Kreisen – schon herumgesprochen. Sie haben recht, niemand würde sich darum kümmern, wenn ein indischer Bengel für seinen Diebstahl Prügel bezieht, aber wenn Sir Percivals Tochter in die Sache verwickelt wird, löst das Reaktionen aus, die uns lästig sein könnten.« Er bedachte Charles mit einem undefinierbaren Blick. »Haben Sie sonst noch Befehle?«
Charles hob grinsend sein Glas. »Erinnern Sie mich daran, dass wir demnächst einen Händler kapern, der diesen Rotwein an Bord hat. Die Preise, die sie hier dafür verlangen, sind unverschämt.«
Harding lachte heiser. »Ist schon notiert, Charles. Schade, dass unsere nächste Reise nach Sumatra geht und nicht in den Westen. Es würde mir Spaß machen, selbst wieder einmal auf die Jagd zu gehen.«
Charles warf ihm einen schrägen Blick zu. »Sie sind und bleiben ein Pirat, Mortimer.«
»Stimmt.« Harding grinste anzüglich. »Und Sie sind mein Boss.«
3. Kapitel
H ör nur, Mutter, was sie hier über El Capitano schreiben …«
Harriet saß mit ihrer Mutter an ihrem Lieblingsplatz in dem kleinen Pavillon. Lady Elisabeth hatte leichte Gazevorhänge anbringen lassen, um die unzähligen umherschwirrenden Insekten davon abzuhalten, sie und ihre Handarbeit als Flugziel zu betrachten.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher