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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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flachen Korb, bedeckte diesen mit einem sauberen Leinentuch und stellte ihn zum Gehen in die Nähe des schweren, gemauerten Herdes.
    Die erste Zeit war nicht leicht gewesen. Für sie nicht, aber auch für Fygen nicht, erinnerte Lijse sich, und ihr kam der peinliche Zwischenfall in den Sinn, der Mathys für eine Weile zum Gespött der Stadt machte. Fygen ruinierte beinahe den Festschmaus, den ihr Onkel für einen wohlhabenden Lübecker Kaufmann ausrichtete, denn Mathys beabsichtigte in den Handel mit Drugwaren einzusteigen und den erfolgreichen Händler für ein Geschäft zu gewinnen. Also hieß er Lijse, bei Tisch mächtig aufzufahren. Einen ganzen Tag hatte sie schwitzend mit der Magd Styna in der dampfenden Küche verbracht, um die erlesensten Speisen vorzubereiten. Es gab Hühnchen mit Senf, sauer eingelegten Kappes, gebratenen Schinken, Kaninchenkeulen mit Pfeffer, verschiedenste Kuchen und Pasteten und viele Leckereien mehr. Schließlich wollte Mathys sich nicht lumpen lassen, sondern im Gegenteil den Lübecker mit seiner Gastfreundschaft beeindrucken.
    Fygen saß mit ihrem Onkel, dem Kaufmann und wenigen weiteren Gästen zu Tisch in der guten Stube. Die lange Tafel zierte ein besticktes leinenes Tischtuch, und zur Feier des Tages hatte Lijse die guten Zinnteller und Trinkbecher aus Glas gedeckt. Der Kaufmann, ein überaus beleibter Mann, hatte sein Besteck – ein Messer mit beinernem Griff und einen silbernen Löffel – aus dem Gürtel geholt und an einem Zipfel des Tischtuches blank gewischt. Gerade schnitt er sich herzhaft ein Stück vom Wildschweinbraten ab, der verlockend duftete und auf einem orange-gelben Beet aus Rübchen angerichtet war, als Fygen ihn mit klarer, durchdringender Stimme geradeheraus ansprach: »Nicht wahr, du isst nicht so viel, dass der Mathys in den Schuldturm muss? Davor hat er nämlich mächtig Angst, hat er gesagt.« Sie legte den kleinen Kopf schief und schaute dem Kaufmann gespannt in das aufgedunsene Gesicht.
    Dem armen Mann blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, und der Bissen Wildschwein, sorgsam auf die Messerspitze aufgespießt, schwebte reglos vor diesem schwarzen Loch, bereit darin auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
    In die peinliche Stille, die daraufhin folgte, plapperte Fygen unbekümmert weiter: »Doch wenn ich dich so ansehe, glaube ich sogar, dass du so viel essen kannst.«
    Mathys war außerstande zu reagieren. Erst lief er rot an, dann grün. Dann endlich war er in der Lage zu sprechen. Er sagte nur ein Wort, und auch das nur im Flüsterton: »Hinaus!«
    Lijse, die gerade zwei weitere dampfende Schüsseln auf den Tisch gestellt hatte, eine mit kleinen Lammpasteten, die andere mit gekochter Lende, reagierte blitzschnell. Geistesgegenwärtig packte sie Fygen am Arm und beeilte sich, das Kind so schnell wie möglich aus der Stube zu bugsieren. Zu ihrem eigenen Schutz sperrte sie Fygen für die nächsten zwei Tage in ihrer Kammer ein, damit sie ihrem Onkel nicht unter die Augen käme.
    Der Zwischenfall hatte zur Folge, dass die ganze Stadt über Mathys’ Geiz hämisch lachte, erinnerte Lijse sich schmunzelnd. Vorsichtig hob sie das Tuch von dem Korb, um nachzuschauen, ob der Teig bereits aufgegangen war. Ein wenig würde es noch dauern, entschied sie und ließ das Tuch wieder über den Teig sinken.
    Nach diesem Vorfall hatte Mathys das Kind nun endgültig Lijse zugeschoben und es vollständig aus seinem Leben verbannt. Fygen solle beim Gesinde aufwachsen und würde nicht länger als Tochter des Hauses behandelt. Er wollte sie einfach nicht mehr sehen.
    Und sie, Lijse, hatte nun dafür zu sorgen, dass aus dem wilden, unbändigen Kind ein wohlerzogenes junges Mädchen wurde.
    Kein leichtes Unterfangen, wie Lijse feststellen musste, denn Fygen verstand sich auf nichts, was das Führen eines Haushaltes anging. Während andere Mädchen ihres Alters ganz selbstverständlich Aufgaben und Pflichten im Haushalt übernahmen, sei es den Tisch abzuräumen, den Abwasch zu erledigen, Holzscheite für den Herd herbeizuholen oder die Bettfedern aufzuschütteln, ertappte sie Fygen immer wieder, wie sie, statt zu arbeiten, müßig herumsaß, Löcher in die Luft starrte und allein, nur für sich selbst, gänzlich unnötige Rechenaufgaben löste, die sie sich selbst gestellt hatte. Beispielsweise, wie viele Ohm Wein in der Stube Platz hätten, wenn man sie hineinschütten würde. Und wie viele Quart waren das dann? Auch fand Lijse Fygen manches Mal im Hof, wo sie mit einem

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