Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
kurzen Stecken Buchstaben in den Staub ritzte.
So ein Mumpitz! Als käme jemand auf die Idee, die Stube voll kostbaren Weines zu schütten. Und wer wolle so einen Mist schon wissen? Wozu ein Mädchen Derartiges lernen solle, hatte Lijse nie verstanden. Und als sie Fygen ob dieser ungewöhnlichen Zeitverschwendung zur Rede stellte, bekam sie zur Antwort, sie, Fygen, müsse viel lernen, denn sie wolle einmal eine reiche Kauffrau werden, wenn sie groß sei.
Papperlapapp, hatte Lijse sie gescholten und ihr stattdessen beizubringen versucht, wie man ordentlich einen Haushalt führt.
Also musste Fygen ihr im Waschhaus hinter dem Hof helfen, die Wäsche zu kochen, lernte, Bier zu brauen und aus dem mit Essig versetzten Gallensaft eines Ochsen Sud zu kochen, der dafür sorgte, dass sich in den Betten keine Wanzen vermehrten. Lijse ließ ihrer Schutzbefohlenen keine Zeit für dumme Flausen, wie sie meinte, bis eines Tages ein fahrender Händler an ihre Tür klopfte. Er bot Kurzwaren und allerlei Tand feil, und Fygen schaute neugierig zu, wie der Händler die Waren auf dem Tisch in der hinteren Stube ausbreitete. Er war ein schmaler junger Kerl mit sonnenverbrannter Haut und dunklen, ein wenig schräg stehenden Augen. Er sprach einen seltsamen Dialekt, redete Lijse immer mit »werte Dame« an, und er roch unangenehm, wie Fygen feststellte. Doch seine Waren fanden Gnade vor Lijses Augen, und während Fygen genüsslich in den bunten Bändern und Borten wühlte, erstand Lijse vier kölnische Ellen blaues Band für eine neue Haube, zwei gute Nadeln und einen einfachen hölzernen Kamm.
Der Händler nannte den Preis: zwei Schilling und fünf Pfennig, und Lijse zählte ihm schon die Münzen in die offene Hand, als Fygen sich einmischte: »Und die sechs Pfennig, um die ihr uns betrügen wollt, was habt ihr damit vor?«
Verblüfft zog Lijse die Hand mit dem Geld zurück und schaute Fygen neugierig an. Die rechnete ihr vor: »Vier Ellen Band zu je zwei Pfennig macht acht Pfennig. Zwei Nadeln zu je drei Pfennig macht sechs Pfennig. Mit dem Band macht es einen Schilling und zwei Pfennige. Dazu der Kamm mit neun Pfennigen, was ohnehin zu teuer ist, macht alles zusammen einen Schilling und elf Pfennige!«
Der Händler warf Fygen einen wütenden Blick zu und entschuldigte sich wortreich bei der werten Dame, die doch sicher nicht annehmen würde, er habe sich unredlich verhalten wollen. Das Kind habe recht, es wären nur ein Schilling und elf Pfennige, aber es sei ein dummes Versehen gewesen, wie es doch einmal vorkommen könne. Und die werte Dame solle doch nicht …
Die werte Dame jagte den unredlichen Händler sofort aus dem Haus. Er solle sich nie wieder bei ihr blicken lassen, warnte sie ihn so lautstark, dass die Mägde der Nachbarn bereits neugierig ihre Nasen aus den Türen steckten.
Von da an hatte Lijse Fygen nie wieder gerügt, wenn diese jeden beschriebenen Schnipsel Papier, dessen sie habhaft werden konnte, zu entziffern versuchte. Im Gegenteil, wenn sich Styna beschwerte, Fygen hätte dies oder jenes ihr Aufgetragene nicht getan, hatte sie das Kind immer in Schutz genommen. Denn Fygen schien in dieser Hinsicht, wenn nicht begabt, dann doch zumindest weit verständiger zu sein, als es in ihrem Alter zu erwarten wäre. Und von dem Moment an nahm sie das Mädchen oft zu ihren Besorgungsgängen mit und ließ sie mancherlei Einkäufe erledigen.
Nun war der Teig genug aufgegangen. Lijse bestrich die Oberseite des Laibes mit Eigelb, öffnete die schwere gusseiserne Klappe des Herdes und schob das süße Rosinenbrot in den Ofen. Dann klopfte sie das Mehl von ihren Händen, strich sich die Schürze glatt und rückte ihre Haube zurecht. Was sie nun tun musste, würde ihr das Herz brechen, aber ihr blieb keine Wahl. Zweimal atmete sie tief durch, und dann suchte sie ihren Dienstherrn in seinem Kontor auf. Es war Zeit, sich mit Mathys zu unterhalten.
»Hinaus, was fällt dir ein, dummes Weibsstück«, brüllte Mathys ihr entgegen, als sie sein Allerheiligstes betrat.
Da muss ich nun durch, dachte Lijse sich, am besten geradeaus. Mit fester Stimme sagte sie: »Ihr müsst Fygen fortschicken. Am besten gebt Ihr sie zu Eurer Base Mettel nach Köln, auf dass sie das Seidenhandwerk erlernt. Fygen ist sehr verständig …«
»Hinaus, habe ich gesagt«, wiederholte Mathys lautstark, und da er schon mal am Brüllen war, brüllte er gleich weiter: »Soll ich etwa Geld dafür bezahlen, dass dieses faule Stück in die Lehre geht? Im Leben
Weitere Kostenlose Bücher