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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Stellvertretend für ihren Dienstherrn bekam der Teig ein paar feste Hiebe. Noch ein paar Tage, und die Angelegenheit wäre für Fygen vergessen.
    Aber was war mit Mathys? Würde er die nächste Gelegenheit nutzen, um Fygen wieder nachzustellen? Wer weiß zu sagen, wie die Sache dann ausgehen würde. Besser, es gab erst gar kein nächstes Mal. Das Mädchen musste aus dem Haus, und zwar so schnell wie möglich. Und weit weg. Lijse hatte auch schon eine Idee, wohin. Es würde nur nicht ganz einfach werden, diese Idee in die Tat umzusetzen. Lijse seufzte tief. Es würde ihr schwerfallen, Fygen gehen zu lassen, denn das Mädchen war ihr ans Herz gewachsen wie eine leibliche Tochter. Nie würde sie vergessen, wie das kleine verstörte Kind vor nunmehr fünf Jahren zu ihr gekommen war.
    Zwei Tage lang hatten sie van Bellinghoven aufgebahrt, wie es sich gehörte. Dann trugen sie ihn an einem leuchtend sonnigen Oktobervormittag zu Grabe.
    Mathys hatte dringende Geschäfte vorgeschützt und ließ sich entschuldigen. Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Schwager war nie besonders herzlich gewesen, was beileibe nicht Konrad anzulasten war. Lijse fand es empörend, dass der einzige Verwandte, den der Verstorbene in der Stadt hatte, sich weigerte, diese Pflicht zu erfüllen, und nahm an Mathys’ Stelle am Trauerzug teil.
    Die Sonnenstrahlen brachten die Blätter an den Bäumen am Kirchhof zum Strahlen. In zahllosen Gelbtönen schienen sie wie Boote auf dem tiefblauen Himmel zu schwimmen und dem van Bellinghoven einen schönen Abschied von dieser Welt zu bescheren. Ihre Pracht wetteiferte mit den farbenfrohen Kleidern der zahlreichen Trauergäste. Die halbe Stadt war auf den Beinen, da jeder Konrad van Bellinghoven kannte. Und wer ihn nicht kannte, der kam trotzdem, denn die Beerdigung eines wohlhabenden Bürgers war immer eine sehenswerte Angelegenheit. Wie lange wurden die Glocken geläutet? Wie viele Kerzen dem Sarg vorangetragen? Wie viele Geistliche begleiteten den Trauerzug? All das war von äußerster Wichtigkeit und wurde ausgiebig besprochen, gab es doch Aufschluss über Rang, Ansehen und Vermögen des lieben Verstorbenen.
    Es war ein ansehnlicher Zug, der den Leichenträgern zum Kirchhof folgte. Und zwischen all dieser Prachtentfaltung und Eitelkeit lief ein einsames kleines Mädchen in blauem Kleid. Mit Ausnahme von Dörte, die jedoch mehr den Verlust ihrer Stellung betrauerte als den Toten selbst, schien Fygen die Einzige zu sein, die wirklich trauerte. Sie ging hinter dem Sarg, mit ernstem Gesichtchen tapfer bemüht, ihren Tränen Einhalt zu gebieten. Nur ab und an schmuggelte sich ein hartnäckiger Schluchzer nach oben, und Lijse empfand Respekt für die Kleine, die diesen Gang allein durchzustehen hatte.
    Einer Eingebung folgend, drängte sie sich durch die Menge, bis sie zu dem Mädchen gelangte. Ohne ein Wort ergriff sie Fygens kleine kalte Hand und hielt sie fest in der ihren. Der Blick, den Fygen ihr aus zimtfarbenen Augen zuwarf, traf sie bis ins Mark. Dankbarkeit las sie darin, Einsamkeit, aber auch Stolz und die Bereitschaft, dem Leben ins Gesicht zu schauen.
    In schweigendem Einvernehmen brachten sie gemeinsam die Trauerfeier in Sankt Martinus und die anschließende Beerdigung auf dem Friedhof direkt neben der Kirche hinter sich. Nur als sich der reich mit Schnitzereien und Zierrat geschmückte Sarg in die dunkle Erde senkte, entrang sich Fygens Kehle ein lautes Schluchzen, und sie drohte zusammenzubrechen. Sanft drückte Lijse ihr kleines Gesichtchen an ihren ausladenden Busen und strich ihr zärtlich über die dunklen Locken.
    Lijse schluckte trocken, um der Rührung Herr zu werden, die sie bei der Erinnerung ergriffen hatte. Energisch knetete sie den Inhalt eines flachen Holzschälchens unter den Teig, in dem sie vorab ein wenig bröckelige Hefe mit lauwarmer Milch vermengt hatte. Dann erst erlaubte sie ihren Gedanken, wieder zurückzuschweifen.
    Später an dem Tag war der Herr Pfarrer zu ihnen ins Haus gekommen, um mit Mathys zu sprechen. Lijse hatte ihn respektvoll in die gute Stube geführt und sogleich ihren Dienstherrn benachrichtigt. Sodann hatte sie begonnen, in aller Ruhe den Flur zu fegen, was ihr guten Grund lieferte, sich in der Nähe der angelehnten Stubentür aufzuhalten. Zu gespannt war sie, was der Pfarrer mit dem Pferdegesicht Mathys zu sagen hatte.
    Und Lijse staunte nicht schlecht, als der Pfarrer ihren Dienstherrn aufforderte, seine Nichte Fygen bei sich aufzunehmen. Er mahnte

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