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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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keckem Lächeln an. Der wunderte sich zum wiederholten Male darüber, wie aufgeweckt die jüngste der drei Schwestern war, wenn es um das Zählen und Rechnen ging. »Nun, lassen wir es genug sein für heute«, beendete er den Unterricht für diesen Tag. »Sprechen wir zum Abschluss ein Ave-Maria.«
    Gehorsam legten die Mädchen die Handflächen aneinander und knieten nieder zum Gebet. »Ave Maria, voll der Gnade …«
    Und so bot sich ihren Eltern ein allerliebster, doch wie Fygen fand, höchst trügerischer Anblick, als diese leise, um den Unterricht nicht zu stören, die Tür zum Schulzimmer öffneten.
    »Euer Papa ist hier, um euch auf Wiedersehen zu sagen«, erklärte Fygen den Mädchen, und sofort war es mit der Lieblichkeit vorbei. Aufgeregt sprangen sie auf die Beine und stürmten auf ihren Vater zu, um ihn zu umarmen und zu drücken.
    »Papa, warum gehst du jetzt auf Reisen, wo doch der König da ist?«, wollte Lisbeth wissen und hüpfte auf und ab.
    Genau das hätte Fygen ihren Mann auch gerne gefragt, doch die Frage war müßig, sie kannte die Antwort. Bald ein ganzes Jahr lang war Peter, wenn man von den ein oder zwei Reisen von wenigen Tagen absah, in der Stadt geblieben. Denn sein Amt als Ratsherr verlangte nun einmal, dass er regelmäßig an den Ratssitzungen teilzunehmen hatte. Fygen hatte die Zeit genossen, doch nun war das Jahr vorbei. Es war Frühling geworden, und in Frankfurt hatte eine Woche vor Palmsonntag die Fastenmesse begonnen. Und Peter drängte es in die Welt hinaus. Nicht dass er sich zu Hause unwohl gefühlt hätte. Im Gegenteil. Die Ruhe hatte ihm gutgetan, seine Wangen waren voller geworden, und er hatte sogar ein wenig Speck um die Hüften herum angesetzt. Nur schweren Herzens ließ Fygen ihn jedes Mal ziehen, wenn es ihn in die Fremde lockte, doch Peter litt nun einmal unter der seltsamen Krankheit namens Fernweh. Und sie wusste, dass sie dagegen machtlos war. Wenigstens hatte Peter ihr versprochen, nicht mehr nach London zu reisen. Obwohl durch die Bemühungen der Kaufleute Hermann Rinck und Hermann Wesel im September 1476 Köln in der Bremer Konkordie wieder in die Hanse aufgenommen worden war und sich der Handel mit England normalisiert hatte, wie Peter ihr immer wieder versicherte, war Fygen in diesem Punkt unnachgiebig geblieben.
    »Sag, Papa! Der König ist doch da!«, beharrte Lisbeth.
    »Papa muss reisen, weil er Geschäfte machen muss, du Dummchen«, rügte Sophie. »Das ist wichtiger als der König.«
    »Was kann wichtiger sein, als den König anzuschauen?«, frage Agnes.
    Doch auch dies sah Peter zweifelsohne anders. Ihm lag so gar nichts an dem Prunk und den Festlichkeiten, welche die Stadt in den nächsten Wochen überfluten würden. Es hatte ihm genügt, am pompösen Einzug des in Aachen frisch gekrönten Königs Maximilian und seines kaiserlichen Vaters teilnehmen zu müssen. Stundenlang hatte er, zusammen mit den Honoratioren der Stadt, vor dem Weyertor gewartet. Dann endlich war ein freudiges Raunen durch die Menge gegangen, als der schier endlose Zug, aus Aachen kommend, in einer gewaltigen Staubwolke auftauchte.
    Die ganze Stadt hatte sich versammelt. Jeder, wirklich jeder, der sich auf den Beinen zu halten vermochte, hatte sich in seine besten Kleider gewandet und war erschienen, um dem neuen König zu huldigen.
    Doch es dauerte nun noch einmal eine gute Weile, bis Kaiser und König dann endlich und wahrhaftig vor dem Stadttor eintrafen. Maximilian sah prächtig und sehr königlich aus in seinem silberweißen Harnisch.
    »Schau mal, Papa, der König hat aber eine hässliche Nase«, stellte Lisbeth laut fest, wofür sie von Agnes einen recht unschwesterlichen Stüber auf ihre eigene, ein wenig stupsige Nase erhielt. Doch Peter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In der Tat hatte Maximilian, wie auch sein Vater, einen unschönen Zinken von beachtlichen Ausmaßen. Das aber tat seiner Würde keinen Abbruch, als er aufrecht, in vornehmer Haltung, auf einem prachtvollen Hengst durch das Weyertor in die Stadt einritt, flankiert vom Kurfürst zu Köln zu seiner Rechten und dem Kurfürst zu Mainz zu seiner Linken.
    Von da aus hatte sich der mächtige Zug aus adligen und kirchlichen Würdenträgern, der durch die kölnischen Bürger noch um ein Vielfaches angeschwollen war, an den Bächen entlanggewälzt, war über den Heumarkt und den Alten Markt geflutet, bis er endlich vor dem Dom angelangt war, wo die Geistlichen aller kölnischen Kirchen gemeinsam König

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