Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
ausgeufert.
»Lena, vielleicht solltest du hinuntergehen zu den Schaustellern. Da kannst du dein Geld leichter verdienen, als bei mir in der Küche zu schuften«, zog Rudolf sie gutmütig auf.
Als Antwort auf seine Frechheit schleuderte Lena ihm mit einem wohlgezielten Wurf einen feuchten Lappen, den sie in der Tasche ihrer Schürze mit sich herumzuschleppen pflegte, in sein verdutztes Gesicht. Bei aller Gewichtigkeit war Lena in manchen Dingen eben doch erstaunlich flink.
Mitten in dem darauffolgenden Gelächter sprang Katryn plötzlich auf und eilte die Treppe hinunter. Erstaunt blickte Fygen ihr hinterher, bis auch ihr auffiel, dass der stetige Bericht, den Tim vom Geschehen auf dem Platz gegeben hatte, abgebrochen war. Der Junge hatte seinen komfortablen Fensterplatz aufgegeben, um das Turnier aus nächster Nähe betrachten zu können und seinen Helden noch näher zu sein. Sofort rannte Fygen hinter der Freundin her. Doch ihre Hilfe wäre nicht vonnöten gewesen. Eines der Schankmädchen war schnell genug gewesen. Gerade im letzten Moment, bevor er zur Tür hinausflitzen konnte, um im Gewühl unterzutauchen, hatte das blonde Mädchen Tim am Ärmel erwischt. »Pech gehabt, junger Mann«, lispelte sie mit einer wunderbar melodischen Stimme, die verriet, dass sie nicht aus Köln stammte. Fygen fasste das Mädchen näher ins Auge. Sie war eine wirkliche Schönheit. Schlank und hoch gewachsen, mit Haaren, die ihr bis zur Hüfte reichten, und einem niedlichen Schmollmund.
Das Mädchen knickste höflich unter Fygens forschendem Blick. »Ich bin Suzanne«, stellte sie sich vor.
Fygen lächelte sie freundlich an und nickte. Rudolf war bekannt dafür, dass bei ihm im Goldenen Krützchen die hübschesten Schankmädchen der Stadt zu finden waren. Und dieser Ruf schien gerechtfertigt zu sein.
»Was macht ihr denn hier unten? Das Turnier geht gleich los.« Rudolf war auf der Suche nach ihnen ebenfalls die Treppe zur Schankstube herabgestiegen. Besitzergreifend legte er einen Arm um Suzannes Hüfte. »Ich sehe, ihr habt euch schon bekannt gemacht«, stellte er mit jungenhaften Lächeln fest.
»Ja, das haben wir.« Fygen lächelte Rudolf an. Seit Jahren schon gab es unter den Schankmädchen jeweils eines, dem Rudolf seine erhöhte Aufmerksamkeit für eine Weile zuteilwerden ließ, doch nie hatte er sich dazu durchringen können, eines von ihnen zu heiraten. Er schien die passende Frau noch nicht gefunden zu haben und war viel zu empfindungsvoll, um sich aus praktischen Erwägungen zu verehelichen.
Mit hängendem Kopf folgte Tim seiner Mutter, Fygen und Rudolf hinauf in die Stube, um schmollend wieder seinen Beobachtungsposten am Fenster einzunehmen.
Auf dem Marktplatz kam nun Bewegung in die Menge. Zwischen den Schranken hatten zwei bis zur Unkenntlichkeit gepanzerte Ritter auf prächtigen, ebenfalls geschützten Pferden Aufstellung genommen. Blau gegen Rot. Die Pferde tänzelten nervös, Metall blitzte in der Sonne, und dann ging es los. Wie von einer Schnur gezogen, preschten die Kontrahenten aufeinander zu. Das Donnern der Hufe hallte über den Platz, gedämpft durch das Stroh, doch laut genug. Dann der Zusammenprall. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Eine Lanze fand ihr Ziel. Rote Bänder flatterten, wischten wie Blut über den schimmernden Brustpanzer. Die Lanze rutschte ab und hinterließ eine Delle im Metall, doch der Blaue hatte kräftige Schenkel. Er schwankte, aber er blieb im Sattel. Die Pferde trabten auseinander, wendeten, mutig genug für den nächsten Waffengang.
»Die Ritter sind fast so stark wie Papa, nicht wahr?«, sagte Lisbeth und legte bewundernd ihr Köpfchen schief.
»Quatsch, Papa ist doch kein Ritter. Ritter kämpfen immerzu, deshalb sind sie so stark«, erklärte Sophie ihrer jüngsten Schwester.
»Schade, dass Papa nicht da ist«, meinte Lisbeth.
»Tja, euer Papa ist nun mal Kaufmann. Hätte eure Mutter einen Schankwirt wie mich geheiratet, der wäre immer zu Hause«, erklärte Rudolf den Mädchen mit verschmitzter Miene.
»Echt, Onkel Rudolf? Wolltest du unser Papa werden?«, fragte Sophie neugierig.
»So etwas fragt man nicht«, rügte Agnes.
»Ja, vor langer, langer Zeit einmal«, antwortete Rudolf gut gelaunt. »Doch eure Mutter wollte mich nicht haben.«
»Hätte ich dich geheiratet, hätte ich laufend mit deinen jungen, hübschen Schankmädchen zu konkurrieren«, zog Fygen ihn flüsternd auf.
»Hättest du mich geheiratet, gäbe es keine Schankmädchen«,
Weitere Kostenlose Bücher