Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
flüsterte er zurück, und Fygen wusste, dass er die Wahrheit sagte. Doch sie konnten beide darüber lachen.
»Ich würde dich heiraten, Onkel Rudolf!«, erklärte Lisbeth voller Mitleid und nickte nachdrücklich.
»Ich dachte, du wolltest Tim heiraten«, zog ihre älteste Schwester sie auf.
Lisbeths Ohren liefen sofort rot an. Mit einem raschen Blick vergewisserte sie sich, dass Tim Sophies Worte nicht gehört hatte. Dann stieß Lisbeth ihrer Schwester kurz, aber schmerzhaft ihren Ellenbogen in die Seite. Doch das Objekt ihrer kindlichen Schwärmerei stand ungerührt am Fenster und blickte hinaus. Eigentlich war der Platz am Fenster gar nicht so schlecht, musste Tim sich eingestehen. Denn von hier aus konnte man sogar die kaiserliche Tribüne sehen, die mit bunten Bändern und dem ersten Grün des Jahres feierlich geschmückt war. Der Kaiser, angetan mit einem festlichen, pelzbesetzten Mantel, hatte es sich inmitten seiner fürstlichen Begleiter und ihrer aufgeputzten Frauen gemütlich gemacht. Wenn Tim nicht alles täuschte, schien das Turnier den alten Mann ein wenig zu langweilen, denn hin und wieder sank sein Kopf für eine Weile zur Seite. Es war unglaublich: Friedrich verschlief einen guten Teil des Turniers. Den König, der vor einiger Zeit ebenfalls auf der Tribüne gesessen hatte, konnte Tim nicht mehr sehen. Er fragte sich gerade, ob König Maximilian das Turnier auch gelangweilt hatte, als ein Raunen durch die Menge der Zuschauer ging. Es wurde aufgeregt getuschelt und gezischt. Ein glänzend gerüsteter Ritter mit weißem Umhang, kostbar getriebenem silbernem Harnisch und weißem Federbusch auf dem glänzenden Helm war auf einem besonders edlen Rappen zwischen den Schranken erschienen. Blütenweiß stach die silberbestickte Satteldecke von den makellosen, schwarz glänzenden Flanken des Tieres ab. Beifall aus Tausenden von Kehlen erhob sich, und die Bürger von Köln jubelten ihrem König zu, denn kein Geringerer als Maximilian selbst war es, der nach der bändergeschmückten Lanze griff, die ihm sein Knappe mit stolzer Miene reichte.
Das Gejohle hatte auch den Kaiser geweckt, doch der fand den Anblick seines Sohnes in voller Rüstung ganz und gar nicht zum Jubeln. Sein Gesicht verzog sich grimmig, und es war offensichtlich, dass Maximilian entgegen dem Verbot seines Vaters hier antrat. Doch daran vermochte der alte Kaiser nun nichts mehr zu ändern. Schon erklang das Hornsignal zum Beginn des ersten Durchgangs, und gespanntes Schweigen senkte sich über den Alten Markt. Die beiden Fürsten stemmten ihren Pferden die Stiefel in die Flanken, und mit aberwitziger Geschwindigkeit galoppierten sie aufeinander zu. Voller Spannung hielt Tim die Luft an, und die Nägel seiner Hände gruben sich in die Handflächen, als er sah, wie kraftvoll die Hufe des schwarzen Pferdes ausholten. Maximilian schien auf seinem Schlachtross nur so dahinzufliegen. In seiner Bewunderung für Maximilian hatte Tim dessen Gegner, den Pfalzgrafen Philipp, nicht beachtet, der, wie der Junge jetzt entsetzt feststellte, nicht minder schnell auf den König zukam. Noch drei Pferdelängen, noch zwei, eine. Jetzt. Tim schloss die Augen.
Mit einem schrecklichen, blechernen Krachen schlug eine Rüstung auf dem Boden auf. Tim öffnete vorsichtig ein Auge. Ein Helm rollte über das Stroh, ein weißer Federbusch verfing sich in den schmutzigen Halmen und blieb liegen. Ein einziger Lanzenstoß des Pfalzgrafen Philipp hatte gereicht, um den König aus dem Sattel zu befördern.
Für einen schrecklichen Moment hielt die Stadt den Atem an. Schweigen lag über dem Platz. Tim schlug die Hand vor den Mund. Man lacht nicht, wenn ein König stürzt.
Ein wenig kläglich und so gar nicht mehr prächtig und königlich lag Maximilian auf dem Rücken im Stroh. Hilflos ruderte er mit den blechernen Armen, auf dass ihm seine Knappen aufhelfen mögen. Die Augen der Zuschauer waren gespannt auf den Kaiser gerichtet. Doch zur großen Überraschung aller fing Friedrich schallend an zu lachen. Dann befahl er kurzerhand, Maximilian so liegen zu lassen, wie er gefallen war, und verließ mit seinem Gefolge die Tribüne.
Dieses väterliche Edikt löste große Schadenfreude bei den Zuschauern aus. Gelächter und Spott brandeten über den Markt und troffen auf die traurige Gestalt des Königs nieder, der, hilflos wie ein Käfer, vergebens versuchte, aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen. Das Turnier hatte für diesen Tag ein Ende gefunden. Und was für ein
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