Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Maximilian zum Gebet vor den Altar der Heiligen Drei Könige führten.
So viel König hatte Peter eindeutig gereicht, und auf eine weitere Zurschaustellung königlicher Macht konnte er, wie auch Mertyn, gut verzichten. Einzig Herman war hin- und hergerissen zwischen der Freude auf das Abenteuer, mit seinem Vater und Mertyn auf Reisen zu gehen – es würde seine erste Reise nach Frankfurt sein –, und dem Bedauern darüber, das geplante Turnier auf dem Alten Markt zu verpassen.
Seiner Schwester Lisbeth war inzwischen ein anderer, schrecklicher Gedanke gekommen. Energisch zupfte sie ihren Vater an der Juppe. »Geht Tim mit euch?«, fragte sie voller Entsetzen und blickte Peter aus großen dunklen Augen an, die kurz davor standen überzulaufen. Mertyn, der Jüngere, Katryns Sohn, war vor ein paar Wochen zu ihnen gekommen, um bei Peter als Lehrling das Kaufmannshandwerk zu erlernen.
»Nein, nur Mertyn und Herman«, beruhigte Peter seine Jüngste. »Tim ist noch zu jung.«
Lisbeth fand Tim gar nicht jung. Im Gegenteil, sie fand, Tim war schon so erwachsen. Lisbeth bewunderte den Elfjährigen grenzenlos, und Fygen musste bereits mehr als einmal dafür sorgen, dass ihre Tochter Tim ungestört seine Arbeit verrichten ließ. Doch seltsamerweise schien Katryns Ältester, der mit seinen dunklen Locken und den funkelnden Kohleaugen seinem Vater auf verblüffende Weise ähnelte, nichts gegen die Bewunderung und die Zuneigungsbekundungen der kleinen Lisbeth einzuwenden zu haben. Im Gegenteil. Häufig genug beobachtete Fygen, wie Tim sich die Zeit nahm, Lisbeth geduldig zu erklären, was Peter ihm über den Handel mit Seide beigebracht hatte. Geduldig beantwortete er alle ihre Fragen, bis sie die Zusammenhänge verstanden hatte.
Im Obergeschoss des Goldenen Krützchens ging es munter zu. Rudolf van Bensberg hatte es sich nicht nehmen lassen, anlässlich des großen Turniers seine Freunde zu Speis und Trank in den Weinzapf zu laden. Die Fenster der großen Stube oberhalb des Schankraumes gingen nämlich alle auf den Alten Markt hinaus. Von hier aus hatte man einen hervorragenden Blick auf den Platz, auf dem die Edelsten und Mächtigsten des Reiches in fairem Kampf gegeneinander antreten würden.
Fygen war mit ihren Töchtern gerne der Einladung gefolgt, und auch Katryn wollte sich dieses Schauspiel keinesfalls entgehen lassen und war mit Tim und dem kleinen Stephan erschienen. Doras Sohn war nun auch bereits vier Jahre alt, stellte Fygen ein wenig überrascht fest, ein schmaler, etwas schüchterner Knabe, der sich unsicher an die Röcke seiner Stiefmutter klammerte. Es war eine Freude zu sehen, wie sehr Katryn den Jungen doch noch ins Herz geschlossen hatte. Was ihr die Sache wohl erleichtert haben mag, war sicherlich die Tatsache, dass Stephan ein sehr anhänglicher Junge war, der zudem, wie auch sein Bruder, äußerlich nach seinem Vater geriet.
Tim war, wie wohl jeder Junge seines Alters in der Stadt, ganz versessen darauf, die Ritter in ihren prächtigen Harnischen mit Rüstung und federgeschmückten Helmen zu sehen. Sofort war er an eines der Fenster gestürzt und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Selbst die großen, bittenden Augen von Lisbeth konnten ihn heute nicht dazu verführen, mit ihr und den anderen Kindern zu spielen.
Denn auch Rudolfs Schwester Irmgard war mit ihren beiden Kindern zu Besuch gekommen, und so war es ein munteres Durcheinander, das durch die Bensbergsche Stube tollte.
Einzig Tim starrte gebannt auf das Geschehen auf dem Markt und beobachtete genau, was sich dort unten tat. Doch das war bislang nicht viel. Auf dem harten Boden des Platzes hatte man bereits Schranken um eine Bahn errichtet und diese mit frischem Stroh ausgestreut. Endlich wurden die ersten, mit bunt bestickten Satteldecken kostbar herausgeputzten Pferde von Knappen, die kaum älter waren als Tim selbst, an blitzenden Halftern herbeigeführt. Der Junge konnte sich gar nicht sattsehen an dem bunten Treiben und erstattete den Erwachsenen aufgeregt Bericht.
Doch die schienen seine Mühe nicht zu honorieren. Hatten sie doch zunächst nichts Besseres zu tun als das, was große Leute eben immer taten, wenn sie sich trafen: zu reden und zu essen. Ganz Ausgiebig taten sie sich an den köstlichen Speisen gütlich, die Lena schnaufend aus der Küche heraufschleppte und mit einem Seufzer auf dem großen Tisch abstellte. War sie schon immer recht drall gewesen, so war ihre Figur in den letzten Jahren ins Unermessliche
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