Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
nie wieder einen solchen Leichtsinn zu begehen. Gerne würde sie die Beginen mit Gut und Geld unterstützen, doch Seide zum Spinnen würde sie ihnen nicht mehr geben. Die vergangene Nacht hatte ihr diese Lehre erteilt.
Teil IV
1492 – 1499
1. Kapitel
M it einem Zischen sauste der Reisigbesen neben dem Schreibpult auf den Boden nieder. Fygen fuhr erschreckt auf. »Maren, ich bitte dich! Muss das jetzt sein?«
»Ja, Frau Lützenkirchen, sonst entwischt sie mir«, keuchte die beleibte Magd und watschelte in Windeseile zum Fenster hin, wo eine winzige braune Feldmaus hilflos nach einem sicheren Versteck suchte. In ihrer Not hatte sie sich, auf der Flucht vor der tolpatschigen Maren, in Fygens Kontor gerettet.
»Schenk ihr doch noch diesen Vormittag. Mich stört sie weniger als deine wilde Jagd.« Fygen wünschte nichts weiter, als in Ruhe arbeiten zu können.
»Aber dann kriegt sie Junge. Und wenn die wieder Junge kriegen und die dann auch wieder …«
Langsam verlor Fygen die Geduld. »Maren, Mäuse bekommen nicht jeden Tag Nachwuchs. Und diese sieht auch nicht trächtig aus. Du kannst sie sicher auch heute Nachmittag noch fangen, ohne dass wir hier im Haus unter einer Mäuseplage zusammenbrechen.«
»Aber …«
Gerade als Fygen die Magd eigenhändig aus ihrem Kontor hinauswerfen wollte, öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und Peter steckte sein gebräuntes Gesicht herein. Heute war der erste frühlingshafte Tag des Jahres, wieso also schaffte es ihr Mann, immer so frisch auszusehen, als verbrächte er seine Tage auf dem Feld und nicht in seinem Kontor, fragte Fygen sich. Er wirkte fröhlich und unternehmungslustig, und die Fältchen um Augen und Mund mochten sämtlich vom Lachen stammen. Kaum einer, der ihn traf, vermutete, dass er im vergangenen Jahr bereits seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte.
»Vorsicht, hier ist Jagdrevier«, warnte Fygen ihn.
Peter sah Maren mit dem Besen und nahm die Warnung durchaus ernst. Vor den Katastrophen, die ständig dort geschahen, wo Maren wirkte, hatte er einen ordentlichen Respekt. Doch der beruhte auf Gegenseitigkeit. Ein strenger Blick von Peter genügte, und die Magd schob ihr ausladendes Hinterteil samt Besen zur Tür hinaus.
Heute schien man sich verschworen zu haben, um sie am Arbeiten zu hindern, dachte Fygen ein wenig genervt, als Peter es sich in einem der Sessel bequem machte. »Was gibt es?«, fragte sie knapp, doch dass sie kurz angebunden war, störte Peter offensichtlich nicht. Er schien heute viel Zeit zu haben.
Peter bemühte sich um eine gleichgültige Miene, aber er konnte sein spitzbübisches Lächeln nicht verbergen, als er so beiläufig wie möglich erklärte: »Es ist so schönes Wetter. Da dachte ich mir, du hättest vielleicht Lust, ein wenig mit mir spazieren zu gehen.«
Vor Verblüffung entfuhr Fygen ein recht undamenhaftes Prusten. »Sonst ist alles in Ordnung?«, fragte sie. »Du bist sicher, dass du gesund bist, ja?«
»Ja, danke der Nachfrage. Ich fühle mich durchaus wohl. Aber dir könnte ein wenig frische Luft gut tun«, antwortete er mit einem Schmunzeln. Und ehe sie sich versah, hatte er sie bei der Hand gepackt, aus dem Kontor gezogen und ihr ein leichtes Umschlagtuch um die Schultern gelegt.
»Ich bin sofort wieder da«, erklärte er und ließ sie verdutzt im Flur stehen, während er in Richtung Küche verschwand. Doch bereits einen Moment später war er wieder da, einen Korb in der Hand, der mit einem weißen Leinentuch fein säuberlich abgedeckt war. Dann reichte er seiner Frau galant den Arm und führte sie zur Tür hinaus.
Strahlend schien die Sonne an einem makellosen Himmel und wärmte Fygen die Schultern. Während der langen Wintertage hatte sie beinahe vergessen, wie wunderbar ein Frühlingstag sein konnte. Auf den stacheligen Fingern des Rosenbaumes sprossen die ersten kirschfarbenen Knospen, die Gräser, die hartnäckig am Fuß der Hausmauern kauerten, prahlten mit ihrem neu erworbenen Grün und begannen bereits mit ihrem unermüdlichen Kampf gegen den Schmutz der Gassen.
Peter zog Fygen die Straße Unter Wappensticker entlang, dann bog er energischen Schrittes rechts in die Schildergasse ein. Er schien ein ganz bestimmtes Ziel zu haben und sich mächtig darauf zu freuen, so fröhlich wie er den Korb an seinem Arm schwenkte. Seine gute Laune wirkte ansteckend, und Fygen konnte nicht verhindern, dass sie mit jedem Schritt neugieriger wurde.
Die Gasse St. Agathen öffnete sich auf eine Kreuzung, an
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