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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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wurde, dachte Fygen ein wenig ungerecht. Doch vielleicht war es ganz gut, dass er nicht da war. Sie konnte sich Peters Ärger sehr lebhaft ausmalen. Er hatte sie gewarnt, ja, ihr sogar ausdrücklich verboten, damit fortzufahren, die frommen Frauen für sie spinnen zu lassen. Wie ärgerlich, dass er nun recht behalten würde.
    Das Warten machte Fygen mürbe. Mittlerweile war die Dunkelheit hereingebrochen, und es war ruhig geworden im Haus. Fygen nahm einen Leuchter vom Tisch, entzündete die Kerzen und ging im flackernden Lichtschein hinüber in die Werkstatt. Die Mädchen hatten längst ihre Arbeit beendet und waren zum Essen in die Küche geeilt. Fygen stellte den Leuchter neben einem der Webstühle ab und ließ sich auf der harten Bank nieder.
    In ihren Augen war der Ausschluss aus der Zunft eine viel zu harte Strafe für ein so harmloses Vergehen, hatte er doch indirekt zur Folge, dass sie ihre Weberei würde schließen müssen. Denn keine Garnspinnerin und kein Färber dürfte künftig mehr für sie arbeiten.
    Mit Wehmut schaute sie um sich. Ließ ihren Blick über die Webstühle gleiten, die besten und modernsten, die es in der Stadt gab. Es war schade um ihre Weberei, dachte Fygen traurig. So viel Arbeit und Liebe hatte sie darauf verwendet, sie zu einer der erfolgreichsten Seidenmanufakturen Kölns zu machen. Fygen nahm das Schiffchen zur Hand, das auf dem bereits fertiggestellten Gewebestück ruhte, und strich sachte mit dem Finger darüber. Es fühlte sich glatt und kühl an.
    Finanziell wäre das Ende ihrer Weberei eine große Einbuße. Doch sie waren vermögend genug, dass es sie nicht in finanzielle Schwierigkeiten stürzen würde. Aber, verflixt noch einmal! Mit der geballten Faust hieb Fygen auf den Holm des Webstuhles. Sie liebte ihre Arbeit.
    Mit einem Tritt des Pedals hob sie den Schaft und warf energisch das Schiffchen durch das Fach. Dann würde sie sich eben eine neue Aufgabe suchen, dachte sie trotzig. Schon lange hatte sie nicht mehr selbst am Webstuhl gesessen und gewebt. Mit einem Ruck schlug sie die Kammlade an. Nun, künftig würde sie eine Menge Zeit haben, selbst zu weben. Wenn auch nur für den Hausgebrauch, dachte sie grimmig. Wieder schlug sie die Lade an.
    Draußen auf der Straße erklang plötzlich das Geräusch von Stiefeln, die auf das Pflaster traten. Es war so weit. Die Schritte kamen näher. Waren vor dem Haus. Doch dann gingen sie weiter, entfernten sich in der Stille der Dunkelheit. »Lass es bald zu Ende sein«, bat Fygen halblaut.
    Wieso war es aufgefallen, fragte sie sich wieder und wieder. Wie hatte der Zunftvorstand davon erfahren? Wieso jetzt, wo weder sie noch Peter, Katryn oder Mertyn im Vorstand saßen und etwas zu ihrer Verteidigung hätten vorbringen können? Stattdessen saß dort ihre ungeliebte, unansehnliche Base Grete, die ihr noch nie gut gewesen war.
    Mit einem Mal kam ihr ein Verdacht. Grete! Steckte sie dahinter? War es kein Zufall, dass Fygen gerade jetzt aufgefallen war, wo Grete gerade einmal zwei Wochen im Zunftvorstand saß? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die alte Mettel wegen der ungestempelten Seide anzuschwärzen. Hatte Grete etwa so lange darauf gewartet, es ihr, Fygen, heimzuzahlen? Und sie selbst war auch noch dumm genug gewesen, ihr alle Mittel an die Hand zu geben! Wie überaus ärgerlich! Doch jetzt nutzte kein Hadern mehr. Was geschehen war, war geschehen, und sie musste zusehen, wie sie damit zurechtkam.
    Fygen spürte eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen. Sie streckte sich, bog den schmerzenden Rücken durch wie eine Katze, und dann, um sich von ihren finsteren Gedanken abzulenken, nahm sie die Arbeit an dem halb fertigen Webstück wieder auf.

    In den frühen Morgenstunden spürte Fygen, wie jemand sie am Arm rüttelte.
    »Fygen! Fygen, bitte wach auf.«
    Verschlafen blickte Fygen auf und schaute geradewegs in das verweinte Gesicht von Katryn Ime Hofe.
    »Was? Was ist?«, fragte sie und hatte Mühe, sich zurechtzufinden.
    »Mertyn ist gestorben. Es ist vorbei«, sagte Katryn tonlos und lehnte sich an Fygens Schulter. Tränen rollten ihr über das Gesicht und tropften in Fygens Haar, als Katryn von ihrem grenzenlosen Kummer überwältigt wurde.
    Lange standen sie so da, eng umschlungen in der Kälte der Werkstatt. Die Morgendämmerung kroch durch die Fenster herein, und erst langsam wurde Fygen klar, dass man sie nicht geholt hatte. Sie war mit einem großen Schrecken davongekommen. Bei Gott und allen Heiligen schwor sie sich,

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