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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Männern zu folgen, doch zuvor bückte sie sich, nahm den getretenen Hund auf den Arm und streichelte ihn tröstend.
    Zunächst gelangten sie in einen großen Flur, der das Erdgeschoss zweiteilte. Auf der zur Straße gelegenen Seite befand sich ein großer, heller Saal mit Steinkamin, auf der anderen Seite lagen einige kleinere Zimmer. Der Flur selbst wurde von einem steinernen Wasserbecken beherrscht, das von zwei großen, ebenfalls steinernen, wasserspeienden Köpfen gekrönt wurde. Neben dem Wasserbecken führte eine große Wendeltreppe hinauf in das Obergeschoss, das zum großen Teil von einem Saal eingenommen wurde. Hier konnte Fygen deutlich erkennen, dass das Haus zweischiffig konstruiert worden war, denn wie der Tanzsaal des Gürzenich wurde auch die holzvertäfelte Decke des großen Saales im Obergeschoss in der Mitte durch eine Reihe von Säulen getragen.
    Zurück im Erdgeschoss, führte der Verwalter sie in eine geschmackvolle und mit einem würdevollen Altar ausgestattete Hauskapelle, die im hinteren Bereich an das Hauptgebäude angebaut worden war.
    »Wenn man es mal ganz dringend nötig hat mit dem Beten«, erklärte er respektlos.
    Zu Fygens Verwunderung geleitete er sie sogar in den Keller, der von einer Mauer in zwei parallele, von Tonnengewölben überdeckte Räume geteilt wurde. Dann zeigte er ihnen die großzügigen Wirtschaftsgebäude und Stallungen, die sich auf dem hinteren Teil des Grundstücks befanden, verborgen von einem Apfelgarten, dessen Bäume wie von Schaum gekrönt in voller Blüte standen.
    Als sie wieder in den Hof getreten waren, fragte der Verwalter: »Wann gedenkt Ihr einzuziehen? Ich werde dementsprechend alles vorbereiten, damit Ihr alles zu Eurer Zufriedenheit vorfinden werdet.«
    Fygen blieb der Mund offen stehen. Sie sah Peter an. »Einziehen? Wieso einziehen?«
    Peter verbarg seine Belustigung über ihre Reaktion hinter einer ernsten Miene. »Es ist nicht nötig, dass Ihr Euch die Mühe macht«, beschied er dem Verwalter knapp. »Mein Gehilfe wird nachher kommen, um sich um alles Weitere zu kümmern. Ihr könnt sofort damit beginnen, Eure persönlichen Sachen zu packen. Wir werden Eure Dienste nicht benötigen.«
    Dem Verwalter blieb bei Peters bestimmten Worten der Mund offen stehen, und er starrte ihn verständnislos an. »Wenn ich bemerken darf, Herr Lützenkirchen, seit über siebenundzwanzig Jahren bin ich im Dienste …«
    »Nun, dann wird es Euch sicher Freude bereiten, einmal etwas Neues kennenzulernen«, schnitt Peter ihm die Rede ab. Jemanden, der es fertigbrachte, hilflose Welpen zu treten, mochte er nicht in seinen Diensten haben.
    Kühl drehte er dem Verwalter den Rücken zu und wandte sich nun endlich an Fygen: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein kleiner Mösch. Gefällt es dir?«
    »Ja, es ist wundervoll, aber wieso …«, stotterte Fygen. Sie hatte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass dieses traumhafte Anwesen künftig ihr Wohnhaus werden sollte.
    »Wieso ich es gekauft habe? Du wolltest doch immer ein wenig ländlich wohnen«, schmunzelte Peter. »Ich denke, dass wir uns hier sehr wohl fühlen werden.« Und obwohl es sich wahrhaftig nicht geziemte, schloss er vor den Augen des ehemaligen Verwalters seine Frau in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.

    Nach Hause zurückgekehrt, führte Fygens Weg geradewegs in die Werkstatt, um ihren Töchtern die großartige Neuigkeit zu erzählen. Doch wie nicht anders zu erwarten, fand sie dort nur Lisbeth vor, ihre Jüngste, die eifrig damit beschäftigt war, an ihrem ersten Tuch zu weben. Seit einigen Wochen war sie endlich alt genug, um, wie ihre beiden älteren Schwestern auch, bei der Mutter das Seidenhandwerk zu erlernen. Lange hatte sie darauf gebrannt, mit den schönen Garnen arbeiten zu dürfen, und war, genau wie Fygen Jahre zuvor, zunächst enttäuscht gewesen, dass sie erst einmal die aufwendigen Hilfsarbeiten zu erlernen hatte, bevor Fygen ihr gestattete, sich an einen Webstuhl zu setzen. Doch seitdem war sie kaum noch davon fortzubewegen, und so fand Fygen sie in ihre Arbeit vertieft vor, die rosafarbene Zungenspitze zwischen die weißen, gleichmäßig gewachsenen Zähne geklemmt. Eine vorwitzige Locke hatten sich aus einem ihrer Zöpfe gelöst und ringelte sich auf ihrer Schulter.
    Der Anblick ihrer Jüngsten, wie sie so eifrig bemüht war, die Kunst des Seidmachens zu erlernen, freute Fygen jeden Tag aufs Neue, und ein stolzer Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht.

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