Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
einen Stuhl herbeigezogen und musterte kritisch die Tischwäsche. Jedes einzelne Stück Leinen, jede Serviette, jede Tischdecke wurde auseinandergefaltet und von Lijse mit Argusaugen inspiziert, um dann von Maren erneut zusammengelegt und in einer der Truhen verstaut zu werden. Wenn Fygen daran dachte, wie viele Trinkbecher, Teller, Platten, Töpfe und Tiegel noch zu verpacken waren, wurde ihr angst und bange.
Zudem musste vorab das gesamte Haus Wolkenburg vom Keller bis zum Dachboden geschrubbt werden, bevor man überhaupt damit beginnen konnte, die Möbel hinüberzuschaffen, denn es war von Ludwig von Aiche, dem Vorbesitzer, in den letzten drei Jahrzehnten kaum bewohnt worden.
Dann waren die Vorratskammern zu leeren, die Betten abzubauen, Vieh und Futtervorräte hinüberzuschaffen …
Fygen schloss entsetzt die Augen und fasste einen Entschluss. Angesichts der zu verpackenden Mengen und der Tatsache, dass ihr künftiger Haushalt eher größer denn kleiner werden würde, entschloss sie sich, auf der Stelle Magdalena Elverfeld aufzusuchen.
Die Maklerin lebte und arbeitete in einem der drei schmalen Häuser, die sich am Buttermarkt unter einen gemeinsamen, spitzen Giebel duckten. Für Fygen war es ein Leichtes, Magdalenas Haus zu erkennen, denn während die beiden anderen Häuser schmuddelig und baufällig waren, glänzte das der Maklerin umso hübscher mit seiner frischen weißen Tünche, den grün gestrichenen Fensterläden und den blitzblanken Fenstern. Auch die Stube, in die Fygen von der Straße aus hineintrat, war peinlich sauber. Kein Stäubchen verunzierte die glänzenden Bodenplanken. Dennoch hockte in einer Ecke eine magere Gestalt auf dem Boden, die Röcke über die dürren Beine hochgebunden, damit sie nicht in die Lauge hingen, und scheuerte die Bohlen mit einer harten Bürste.
Für Magdalena war es einfach, das Haus so sauber zu halten, denn sie vermittelte Hausangestellte. Dienstmädchen waren darunter, manches Mal auch erfahrene Wirtschafterinnen, doch in den meisten Fällen junge Mädchen, die vom Land in die Stadt gekommen waren, da sie hier als Magd weit mehr verdienten als ein Knecht auf dem Land. Wenn sie sparsam waren, konnten sie sich hier leicht in wenigen Jahren eine Mitgift zusammensparen, da sie gewöhnlich bei ihrer Herrschaft wohnten und von ihr verköstigt wurden. Die Reinlichkeit ihres Hauses war Magdalenas Referenz und Aushängeschild, und während die Mädchen darauf warteten, dass Magdalena ihnen eine Stelle vermittelte, machten sie sich in ihrem Haushalt nützlich.
Magdalena begrüßte Fygen mit einem strahlenden Lächeln, das ihre kleinen, wachen Augen in den Speckfalten ihres runden Gesichtes beinahe verschwinden ließ, und nötigte sie sogleich, in einem bequemen Sessel Platz zu nehmen. Sie selbst zwängte ihre breite Kehrseite in einen Stuhl gegenüber, und während ein junges, stämmiges Mädchen ihnen einen Becher Wein kredenzte, plapperte sie munter drauflos: »Frau Lützenkirchen, wie schön, Euch wieder einmal zu sehen. Ich hoffe, der Familie geht es gut? Ich habe schon gehört, dass Ihr in die Wolkenburg zieht. Was für ein schönes Anwesen. Und so groß.« Ihre molligen Hände unterstrichen jedes ihrer Worte, und bei »groß« schlug sie Fygen beinahe den Becher aus der Hand. Ohne sich dadurch jedoch aus dem Redefluss bringen zu lassen, fuhr sie fort: »Aber der Umzug – diese Arbeit! Nein! Und dann das große Anwesen.« Diesmal war ihre Geste sicherheitshalber nicht ganz so ausladend. »Ich habe schon zu meinem Mann gesagt, Heinrich, habe ich gesagt, die Frau Lützenkirchen hat jetzt recht viel Arbeit. Und da braucht sie sicher Hilfe. Und da habe ich mich gefragt, wann Ihr wohl kommen würdet«, kam sie geschickt auf den Grund von Fygens Besuch zu sprechen. »Womit kann ich Euch denn helfen? Braucht Ihr eine oder zwei Mägde?« Ihr Mund formte ein großes O, als sie verstummte und Fygen fragend aus ihren winzigen, wachsamen Augen anblickte.
In die plötzliche Stille hinein antwortete Fygen: »Magdalena, Ihr habt es genau erfasst. Ich brauche zwei Mägde. Junge, kräftige Mädchen vom Land, die ordentlich zupacken können.«
»Da seid Ihr bei mir genau richtig«, antwortete Magdalena geschmeichelt. »Ich habe bestimmt das Richtige für Euch da. Ich habe gestern noch zu meinem Mann gesagt, Heinrich, habe ich gesagt, ich habe bestimmt die richtigen Mädchen für die Frau Lützenkirchen.« Sich mit beiden Armen auf den Sessellehnen abstützend, hievte die Maklerin
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