Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
froh, sie zu sehen, denn er fühlte sich in dem Durcheinander, das von seinem Haus Besitz ergriffen hatte, nicht mehr wohl. »Sie schleicht völlig abwesend durchs Haus, und wenn man sie anspricht, scheint sie nicht von dieser Welt zu sein«, klagte er.
»Andreas Imhoff«, antwortete Fygen knapp und zwängte sich an ihm vorbei in die Kammer.
Überrascht zog Peter die Augenbrauen hoch und ließ sich auf ihre Bettstatt sinken. Seine Stirn furchte sich, und Fygen sah, wie es in ihm arbeitete. Mit einer ungeduldigen Bewegung zog sie ihr Mieder über den Kopf und warf es achtlos auf einen Hocker. Ein wenig Mitleid verspürte sie schon mit ihrem Mann. Er war vernarrt in seine Töchter, und Fygen war darauf gefasst, dass es ihm nicht leicht werden würde, sie zu verheiraten. Doch in dem Punkt hatte Fygen sich wohl gründlich geirrt, denn als sie den Kopf durch ihr frisches Mieder steckte, entdeckte sie, dass sich ein lausbubenhaftes Grinsen auf das Gesicht ihres Mannes geschlichen hatte. Ihm schien ein Gedanke gekommen zu sein, der ihn wirklich begeisterte. Verschmitzt blinzelte er Fygen an, und sie konnte ihm förmlich ansehen, dass er etwas im Schilde führte. »Peter Lützenkirchen, was hast du nun wieder vor?«, fragte sie argwöhnisch.
»Andreas Imhoff ist gar keine so schlechte Idee«, murmelte Peter halblaut vor sich hin, bedachte seine Frau mit einem unschuldigen Lächeln, erhob sich von ihrem Bett und nahm seine Wanderung durch das Haus wieder auf, vorbei an Wäschegebirgen, Möbeltürmen, Vorratssäcken.
»Das ist nun schon das dritte Mal!«, beschwerte sich Johann Liblar gerade, als Fygen ein wenig abgehetzt in Katryns Kontor erschien. Das Gesicht des gewichtigen Seidenhändlers hatte eine unnatürlich dunkelrote Farbe angenommen, und sein Atem rasselte ungesund. Seine Gehilfen waren derweil nebenan in der Werkstatt damit beschäftigt, einige Packen mit Rohseide auf den großen Tisch zu hieven. Liblar hatte vor einiger Zeit eine Lieferung Rohseide aus Antwerpen bezogen, von deren Qualität er ganz und gar enttäuscht war. Doch trotz einer Abmahnung hatte der Verkäufer, ein Antwerpener Bürger, sich geweigert, die Ware zurückzunehmen und den Kaufpreis zu erstatten. Es war in der Tat nicht das erste Mal, dass es Schwierigkeiten dieser Art mit Antwerpen gab, und nun hatte Johann schlicht und einfach die Nase voll. Er hatte sich an den Rat der Stadt gewandt, welcher sich der Angelegenheit angenommen und verfügt hatte, dass einige angesehene Seidmacherinnen und Seidspinnerinnen der Zunft die Minderwertigkeit der Seide bezeugen sollten.
Auf Katryns Wink hin machte sich eines ihrer Lehrmädchen an den Packen zu schaffen und zerschnitt mit einem scharfen Messer die Verschnürung und entfernte die Verpackung. Unter den neugierigen Blicken der Damen und Herren vom Seidamt quoll ein Haufen gelblich weißer Stränge auf den Tisch. Man musste keine sonderlich erfahrene Seidmacherin sein, um über die Qualität – oder besser die fehlende Qualität dieser Ware zu urteilen, dachte Fygen. Die Stränge hatten schon eine vergilbte, ungleichmäßig gelbliche Färbung angenommen, waren stumpf, rauh und faserig. Zudem ließen sich ohne Schwierigkeiten Knoten darin erkennen. Dennoch streckte Fygen pflichtschuldig die Hand aus, um die Rohseide zu befühlen.
Johann Liblar stand ein wenig abseits und warf nicht einen Blick auf die fragliche Seide, so sicher war er sich deren Minderwertigkeit.
Rasch waren sich die Damen, vier Seidmacherinnen und drei Seidspinnerinnen einig, und ihr Urteil war vernichtend: Diese Seide war mehr als zu beanstanden. Dies bekundeten sie auch dem Schreiber des Rates, der es gewissenhaft zu Protokoll nahm. Mit diesem Zeugnis würde sich der Rat direkt an die Stadt Antwerpen wenden, die ihrerseits ein begründetes Interesse daran hatte, auf den Ruf, den ihre Händler an anderen Handelsplätzen genossen, zu achten. Johann Liblar nickte zufrieden, entspannte sich ein wenig, und sein Gesicht drohte nicht mehr jeden Moment zu explodieren.
»Nun, das ist ja gut und schön«, wandte Heinrich von Wickroed mit zögerlicher Stimme ein.
Aller Augen wandten sich dem schmalen, ein wenig unscheinbaren Zunftmeister zu, der vor der plötzlichen Aufmerksamkeit zurückzuckte. Dennoch fuhr er tapfer fort: »Es ist gut und schön, dass das Zeugnis der Frauen hier in Köln gilt. Doch meine ich, dass dem anderen Ortes keineswegs so ist.«
Johann Liblar sog hörbar die Luft ein. Sofort schwoll die dunkelrote Ader an
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