Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
standen.
»Was ist«, fragte Fygen ihre Tochter. »Willst du nicht hineingehen, um deinem Vater und seinem Gast ihre Erfrischung zu bringen?«
Statt einer Antwort färbte plötzlich eine unnatürliche Röte Agnes’ blasses Gesicht, den Hals hinab bis knapp zum Ansatz ihrer jungen Brüste, den das tief geschnittene Mieder erahnen ließ.
»Er hat Besuch«, flüsterte das Mädchen heiser.
»Ja, eben. Bring ihnen doch das Tablett hinein.«
»Das, das kann ich nicht«, stammelte Agnes, drückte ihrer Mutter das Tablett in die Hand und verschwand.
Fygen sah sich genötigt, höchstpersönlich die Herren zu bewirten, und als sie das Kontor betrat, erkannte sie auch den Grund für Agnes’ seltsames Verhalten: Bei dem Besucher, der Peter gegenübersaß, musste es sich um Andreas Imhoff handeln. Ein recht junger und gut aussehender Mann, dachte Fygen. Doch Andreas sah nicht nur gut aus, auf seinem hoch gewachsenen Körper saß ein durchaus kluger Kopf, und nicht umsonst war Imhoff trotz seines jugendlichen Alters bereits Faktor der Memminger Vöhlin-Gesellschaft in Köln.
Als Vertreter des oberdeutschen Bank- und Handelshauses war Andreas sozusagen ein Kollege Peters, der neben seinen Handelsaktivitäten auf eigene Rechnung in zunehmendem Maße nun auch als Faktor der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft tätig war. Als solchem oblag es ihm, die Gesellschaft in Köln zu vertreten. Gegen eine nicht unerhebliche Provision erwarb er im Namen der Gesellschaft Waren aus den Rheinlanden wie Kölner Borten, Seidentuche und Stickereien, um sie nach Süden zu senden, und sorgte sich umgekehrt auch darum, die oberdeutschen Waren, vornehmlich Leinen und Barchent, das feste, innen aufgerauhte Gewebe aus Baumwolle und Leinen, aus dem Kleidung für jedermann geschneidert wurde, in Köln zu veräußern.
Fygen begrüßte diese Entwicklung sehr, hielt es ihren reiselustigen Gatten doch mehr und mehr davon ab, sich in fremde Länder und damit in Gefahr zu begeben.
Für den Besuch von Andreas Imhoff gab es keinen zwingenden Anlass. Vielmehr ging es den beiden Herren darum herauszufinden, ob man nicht durch zeitliche Absprachen und das Zusammenlegen von Warenlieferungen die Kosten für den Transport einiger Güter deutlich verringern konnte, nahmen ihrer beider Waren doch ein gutes Stück den gleichen Weg.
»Ich habe gerade eine Lieferung Seide aus Valencia erhalten. Im Gegenzug geht in den nächsten Tagen von hier eine Sendung kölnischer Goldgespinste für Venedig und Genua ab. Es ist gerade einmal ein halber Wagen voll, eigentlich lohnt es nicht, dafür eine Sendung auf den Weg zu bringen, aber die Ravensburger warten dringlich darauf. Wenn Ihr möchtet, könntet Ihr Euch mit einer kleinen Lieferung gerne anschließen«, hörte Fygen Peter gerade sagen.
»Gerne. Wenn noch Platz für einige Ballen englische Tuche wäre, so würde ich das Angebot gerne annehmen«, antwortete Imhoff.
»Ah, Fygen! Schön, dass du uns eine Erfrischung bringst. Das hier ist Andreas Imhoff. Er ist erst vor einem Jahr von Augsburg nach Köln gekommen und vertritt hier das Handelshaus Vöhlin.«
Der junge Mann begrüßte Fygen freundlich mit einem offenen Lächeln, und Fygen hatte Gelegenheit, sich den Knaben aus der Nähe zu betrachten, der es vermocht hatte, ihre sonst so kühle und überlegte Tochter dermaßen aus der Fassung zu bringen. Er war wirklich ein ausnehmend ansehnlicher Bursche mit breiten Schultern, langem, glänzend braunem Haar und einem sympathischen, ein wenig spöttischen Lächeln um den breiten Mund.
»Wir haben, so glaube ich, einen guten Weg gefunden, den Warenverkehr mit den oberdeutschen Handelsstädten künftig zu beschleunigen«, erklärte Peter Fygen erfreut. »Denn wenn wir unser beider Sendungen zusammenlegen, lohnt es sich, weitaus häufiger einen Wagen auf den Weg zu bringen als bisher.«
Doch seine Frau konnte sich heute nicht für die Geschäfte mit den oberdeutschen Handelshäusern erwärmen. Sie nickte nur kurz und machte sich wieder auf die Suche nach Agnes.
Schließlich fand Fygen das Mädchen in der Küche, wo es einen bereits glänzenden Topf polierte. In ihren blauen Augen stand ein dunkles Funkeln, wie Fygen es noch nie bei ihrer Tochter gesehen hatte.
»Stell dir vor«, sagte Fygen, griff nach einer Karaffe Wein und schenkte sich einen Becher halb voll, »dein Vater hat uns ein neues Haus gekauft in der Pfarre St. Peter. Es ist ein richtiges Hofgut, und wir werden dort noch mehr Platz haben als bisher.«
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