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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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könnte sie mit einer derartigen Aufgabe strafen, war sie anscheinend überhaupt nicht gekommen. Das Einnähen der Seide, um sie für den Transport gegen Schmutz und Regen zu schützen, war eine schwere Arbeit. Denn nur mit äußerster Kraftanstrengung ließ sich die Nähnadel durch das gewachste Leinen ziehen. Man bekam von dieser Arbeit Schwielen an den Händen, und nicht selten rissen dabei die Fingernägel schmerzhaft ein.
    »Schau nicht so wie eine Kuh, wenn es donnert. Du kannst dich gleich an die Arbeit machen.« Und an Gertrud gewandt, befahl Fygen: »Nimm dieses verhunzte Webstück hier aus dem Rahmen und sieh zu, dass die Kettfäden wieder gespannt werden.« Dann rief sie Elise zu sich. Die Tochter des Weinhändlers Tilmann Lutzenforst war ein ruhiges, anstelliges Mädchen, das gerade das zweite Lehrjahr begonnen hatte. Ein wenig schüchtern trat sie vor, und zu ihrer großen Überraschung erklärte Fygen ihr: »Elise, ich möchte, dass du künftig an diesem Webstuhl arbeitest. Hast du mich verstanden?«
    »Sehr gerne, Frau Lützenkirchen.« Elise nickte. Den wütenden Blick, mit dem die vor allen Anwesenden gedemütigte Sophie sie bedachte, sah sie allerdings nicht.
    Fygen hatte keine Lust mehr, sich mit Sophie über den Umzug in die Wolkenburg zu unterhalten. Stattdessen würde sie Agnes davon erzählen. Vielleicht gab es ja eine unter ihren Töchtern, mit der es sich heute vernünftig reden ließ.
    Natürlich war auch Agnes nicht in der Werkstatt. Aber Fygen brauchte nicht lange zu überlegen, wo sie ihre Zweitälteste finden konnte. Obschon sie ebenfalls offiziell als Lehrmädchen geführt wurde und Fygen sich ein gutes halbes Jahr lang redlich bemüht hatte, aus ihr eine Seidweberin zu machen, arbeitete sie nicht in der Werkstatt. Doch anders als Sophie konnte man sie keineswegs des Müßigganges bezichtigen. Im Gegenteil, Agnes war sehr flink und anstellig, aber sie hatte kein Händchen für das Seidenhandwerk, und auch das kaufmännische Gespür fehlte ihr vollständig. Sie fühlte sich am wohlsten, wenn sie sich in Hildas Obhut um den großen Haushalt kümmern durfte. Schon früh hatte sie eine für Fygen unverständliche Zuneigung zu der spröden Hilda gefasst und folgte der Haushälterin auf Schritt und Tritt. Jede Gelegenheit nutzte sie aus, um sich aus der Werkstatt fortzustehlen, und schützte allerlei fadenscheinige Gründe vor, meist unaufschiebbare Vorbereitungen für die unterschiedlichsten Feiertage, die ihre Hilfe in der Küche unabdingbar machten. Mit unglaublicher Hartnäckigkeit saugte sie förmlich alles, was es über das Führen eines Haushaltes zu wissen gab, aus der wortkargen Frau heraus. Welche Lebensmittel wo und in welchen Mengen zu kaufen waren und wie sie gelagert werden mussten, damit sie nicht verdarben. Wie mit den Wäscherinnen zu verfahren war, wie die Hausmägde anzuleiten waren, wie viele Hühner, Kühe und Schweine man im Hof benötigte, um den Haushalt zu versorgen, und so weiter und so fort. Sicherlich nützliche Dinge, von denen Fygen nicht viel verstand und die sie von jeher getrost Hilda überlassen hatte. Aus Agnes würde mit Sicherheit eine hervorragende Hausfrau werden, die es auf das trefflichste verstand, auch dem größten und aufwendigsten Haushalt vorzustehen.
    Fygen war zunächst über das mangelnde Interesse ihrer Tochter am Seidenhandwerk enttäuscht gewesen und hatte Peter bitterlich ihr Leid geklagt.
    »Wenn es ihr Freude bereitet, dann lass sie doch!«, hatte Peter wie üblich seine Tochter in Schutz genommen. »Du brauchst ihre Hilfe in der Weberei nicht.«
    Und so war man stillschweigend übereingekommen, sie einfach gewähren zu lassen.
    Mit ihrem blassen, klaren Teint und den glatten weizenfarbenen Haaren war Agnes ein recht hübsches Mädchen. Sie achtete darauf, immer adrett und ordentlich gekleidet zu sein, nie traf man sie mit verrutschter Haube oder einem Fleck auf der Schürze an. Dazu hatte sie Peters unverschämt blaue Augen geerbt, und es war davon auszugehen, dass sie eines nicht mehr allzu fernen Tages heiraten würde. Dann würde ihr das von Hilda erworbene Wissen sicherlich zugutekommen.
    Doch als Fygen Agnes schließlich im Korridor zu Peters Kontor fand, da verhielt auch diese sich gänzlich anders, als ihre Mutter es erwartet hatte. Unentschlossen drückte Agnes sich in der Nähe der offenen Tür zu Peters Kontor herum, ein Tablett in den Händen, auf dem ein Weinkrug, zwei Becher und eine Schale mit gewürztem Schmalzgebäck

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