Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
konnte man schon einmal überspannt reagieren. Aber gleich die Werkstatt aufzulösen war doch etwas zu vorschnell.
»Für heute ist das wohl ein bisschen viel gewesen, Frau Lützenkirchen«, hatte Gertrud, die Fygen schon lange Jahre in der Werkstatt half, in ihrer freundlichen, aber direkten Art gesagt, sich dessen sicher, dass ihre Dienstherrin am nächsten Tag wieder bei Sinnen wäre und die Anweisung sofort zurücknehmen würde. »Der Tag ist schon bald um. Was haltet Ihr davon, wenn wir morgen damit beginnen?«
»Gertrud, es ist lieb, dass du dich um mich sorgst. Aber glaube mir, ich bin im Besitz meiner geistigen Kräfte und weiß genau, was ich euch befohlen habe. Sei gewiss, dass es das Schwerste und Traurigste ist, was ich bisher in meinem ganzen Leben getan habe. Aber ich habe keine Wahl. Ich übergebe den gesamten Betrieb meiner Tochter Lisbeth und ziehe mich vollständig aus dem Geschäft zurück.« Mit diesen Worten hatte sie die Werkstatt verlassen, und bereits am Abend des folgenden Tages war der Saal im Erdgeschoss der Wolkenburg leer und ausgefegt. Nichts deutete darauf hin, dass hier eine der größten Seidwebereien der Stadt gewesen war.
Am selben Abend noch war Lijse heimgekehrt, sichtlich mitgenommen zwar, doch nach wenigen Tagen der Ruhe hatte sie die Schrecken des Turmes überwunden.
Die Beginen vom Annenkonvent hatten alle vorübergehend Unterschlupf in anderen Konventen gefunden, dennoch war es Fygen ein Bedürfnis gewesen, sie beim Wiederaufbau ihres Hauses zu unterstützen. So hatte sie ihnen einen großzügigen Betrag hierfür zukommen lassen, doch die Bauarbeiten selbst in Augenschein zu nehmen, das hatte sie nicht vermocht.
Einige Wochen hatte sie noch damit zugebracht, Peters Geschäfte abzuwickeln und seinen Nachlass zu ordnen, doch dann gab es für sie nichts mehr zu tun. Die restlichen Aufgaben hatte Eckert übernommen. Leere machte sich breit, und die Stunden dehnten sich zu Ewigkeiten. Fygen verließ kaum noch ihr Zimmer. An manchen Tagen konnte sie sich nicht einmal dazu aufraffen, aus dem Bett aufzustehen. Wozu auch? Fygens abwesender Blick glitt wieder auf die Bäume hinaus. Es gab nichts, für das es zu sorgen lohnte.
Es klopfte energisch an die Tür. Ohne Fygens Antwort abzuwarten, trat Katryn in die Stube. Gut gelaunt eilte sie auf die Freundin zu und schloss sie zur Begrüßung in die Arme. »Hier, den habe ich dir gleich mit heraufgebracht. Er ist eben angekommen, und ich dachte mir, du willst ihn sicher lesen.« Katryn reichte Fygen einen Brief, dem man deutlich ansah, dass er von weit her gekommen sein musste, so abgegriffen und beschmutzt sah der Umschlag aus. Gleichgültig nahm Fygen ihn der Freundin ab und warf ihn achtlos auf den Tisch neben sich.
»Du warst nicht bei der Hochzeit von Byrkens Enkelin, da habe ich mir Sorgen um dich gemacht und bin gekommen, um nach dir zu schauen«, sagte Katryn freundlich.
»Danke, mir geht es gut. Ich hatte nur keine Lust hinzugehen.«
»Da hast du wirklich etwas verpasst. Es war ein großartiges Fest«, berichtete Katryn begeistert, doch sie erntete nur ein gleichgültiges Schulterzucken.
»Ach, Fygen, es ist nicht gut, wenn du so viel allein bist«, tadelte Katryn liebevoll. »Du musst wieder unter Menschen gehen. Such dir eine Beschäftigung. Du kannst doch tun, was du dir nur wünschst. Du bist gesund und vermögend.«
Das stimmte. Finanzielle Sorgen brauchte Fygen sich wirklich nicht zu machen. Im Gegenteil: Nach Peters Tod gehörte sie zu den reichsten Bürgern der Stadt.
»Lisbeth kann deine Hilfe in der Weberei sicher gut gebrauchen, und du hast dir noch nicht einmal dein jüngstes Enkelkind angeschaut«, fuhr Katryn fort. »Die kleine Martha ist so ein entzückendes Kind.«
»Wozu? Es sieht sicher genauso aus wie die anderen Imhoffs«, entgegnete Fygen lahm.
»Herrgott, Fygen! Jetzt reicht es aber«, rief Katryn. Herausfordernd funkelte sie die Freundin an, die Hände in die Hüften gestemmt. »Peter ist tot. Das ist schlimm, und ich weiß, wie dir zumute ist. Doch dein Leben ist nicht zu Ende. Hör endlich auf, dich selbst zu bemitleiden. Es hilft dir nicht, dich einzuschließen und trübsinnig herumzusitzen. Davon wird man alt und grau.«
Noch ehe Fygen darauf eine Antwort parat hatte, klopfte es erneut, und Hilda steckte ihren Kopf durch die Tür. »Ein Herr Hinderofen wünscht Euch zu sprechen, Frau Lützenkirchen.«
»Schick ihn fort, ich empfange keinen Besuch«, antwortete Fygen gleichgültig.
»Er
Weitere Kostenlose Bücher