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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Rudolf sie im Sprung behinderte, oder einfach nur deshalb, weil das Feuer zu groß war – Grete landete plump auf den letzten halb verkohlten Scheiten. Ihre Füße fanden auf der Asche keinen Halt und rutschten nach vorn weg, während ihr massiger Körper hintenüberkippte, hinein in die Flammen. Der Johanniskranz rutschte ihr vom Kopf, und es zischte und rauchte, als das frische Grün Feuer fing. Durch die Wucht ihres Sturzes geriet auch Rudolf ins Straucheln. Mit einem Fuß landete er in der Glut. Holz knackte, Funken stoben auf, und für einen Moment war er in all den Flammen vor Fygens Blicken verborgen. Doch im Fallen hatte Grete seine Hand endlich losgelassen, und er warf sich mit aller Kraft nach vorn. Unsanft fiel er auf die Knie, rollte über den Boden und blieb schließlich ein Stück weit von den mörderischen Flammen entfernt liegen.
    Vor Schreck zur Bewegungslosigkeit erstarrt, gelang es Fygen nicht einmal zu schreien. Gretes Haare fingen knisternd Feuer, und sofort breitete sich der beißende Geruch von verbranntem Horn aus. Plötzlich war es totenstill. Nur das Feuer knisterte und knackte. Der Bruchteil einer Sekunde geriet zur Ewigkeit, bis sich Gretes Brust ein unmenschlicher Schrei entrang. Einzig Mertyn, der sich eben wieder Katryn zugewandt und das Entsetzliche über Fygens Schulter hinweg mit angesehen hatte, reagierte blitzschnell. Rasch stieß er die Mädchen beiseite und stürzte zum Feuer. Beherzt ergriff er Grete bei den Füßen, die grotesk in die Luft ragten, und zerrte ihren klobigen Körper aus der Reichweite der Flammen. Die weiten Ärmelsäume ihres Kleides brannten lichterloh, und hastig wälzte Mertyn das Mädchen auf dem Boden hin und her. Endlich gelang es ihm, die Flammen zu ersticken. Doch immer noch gellten Gretes Schreie durch die Nacht, so unmenschlich, dass es Fygen schauderte. Mertyn drehte Gretes willenlosen Körper so, dass er auf dem Bauch zu liegen kam, und mit Erschrecken stellte Fygen fest, dass sich auf Gretes Kehrseite ein großer schwarzer Fleck in das Kleid gebrannt hatte. Es war schwarz verkohlt, durch die Unterkleider hindurch, bis auf die Haut. Dann plötzlich erstarb der Schrei. Gretes Kopf sackte zur Seite, und eine gespenstige Stille legte sich über den Domhof.

    Seit Tagen lag Gretes schlechte Laune wie eine graue Gewitterwolke auf dem Haus. Der Schreck über die Geschehnisse der Johannisnacht war bei den Mädchen schnell verflogen, als sich herausstellte, dass Grete keinen ernstlichen Schaden genommen hatte. Doch in Grete brodelte es. War sie doch in aller Öffentlichkeit blamiert worden. Hinzu kam, dass man sie höchst unwürdig, bäuchlings auf einem Karren liegend, nach Hause gebracht hatte. Grete kochte. Und das alles nur wegen dieses hirnlosen Schankjungen, grollte sie. Nie wäre sie gestürzt, wenn der dämliche Rudolf sie nicht losgelassen hätte. Und nun musste sie zähneknirschend hinnehmen, dass in all den Äußerungen des Mitgefühls, die sie erhielt, auch immer ein leicht amüsierter Ton mitschwang, da sie sich ausgerechnet den Allerwertesten empfindlich verbrannt hatte. Zudem waren ihre Haare versengt, und Katryn hatte die verbleibenden Strähnen, so gleichmäßig es ging, kurz geschnitten, was ihrem Gesicht alle Weiblichkeit nahm. Aber bei der grimmigen Miene, die sie zur Schau stellte, kam es darauf auch nicht mehr an.
    »Das Holz der Küchenbank muss ein gänzlich anderes sein als das, aus welchem die Bank hier am Webstuhl ist«, sinnierte Fygen. Sie arbeitete mit Katryn und Hylgen allein in der Werkstatt. Ganz selbstverständlich hatte sie Gretes Platz am Webstuhl eingenommen, und die Qualität ihrer Werkstücke stand denen von Grete in nichts nach. Immer wieder kontrollierte Katryn das Gewebe, leitete Fygen an und gab ihr nützliche Ratschläge. Durch die tägliche Übung machte Fygen rasche Fortschritte, und mit der Zeit wurde ihr Stoff immer gleichmäßiger, und die Kanten lagen straff und glatt.
    Hylgen scherte ruhig den dritten Webstuhl auf. »Wieso? Was ist denn mit dem Holz der Küchenbank?«
    »Es muss ein besonderes Holz sein«, antwortete Fygen mit einem Grinsen, und Katryn biss sich auf die Lippe.
    »Wie kommst du darauf?«, fragte Hylgen naiv.
    »Nun, ich wundere mich, dass Grete zum Essen auf der Küchenbank lange und ausdauernd sitzen kann, während es ihr unendliche Qualen verursacht, an ihrem Webstuhl zu arbeiten.«
    Katryn und Hylgen kicherten. In der Tat ließ Grete sich nunmehr kaum noch in der Werkstatt sehen. Meist

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